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DAS TREIBHAUS
WUNDERLICHES UND ABSONDERLICHES

Die W a r n u n g durch den Doppel-
gänger. Eines aufschlußreichen Falls von
Doppelgängervision war einer meiner Freunde
Zeuge. Da Dr. S. ein durchaus nicht phan-
tastischer Mensch ist, habe ich keinen Grund,
an derWahrheit seiner Erzählung zu zweifeln,
zumal da ja Erlebnisse wie das seine nicht
vereinzelt dastehen.
In einer Winternacht ging mein Freund mit
einem jüngeren Herrn durch die beschneite
Münchner Theresienstraße. Sie unterhielten
sich über ästhetische Dinge, da blieb der Be-
gleiter des Dr. S. plötzlich stehen. Mit allen
Zeichen des Schreckens streckte er die Arme
vor sich, war aber nicht dazu zu bringen, dem
Freunde über sein sonderbares Tun eine Er-
klärung zu geben. Der gleiche Vorfall ereig-
nete sich einige Minuten später. Der junge
Herr schwieg, nahm aber, verstört, eine Hand
voll Schnee und rieb sich die Augen, wie um
einen Bann zu verscheuchen. Bald darauf
trennten sich die Herren, und Dr. S. begab sich
in sein Atelier, um schlafen zu gehen. Er war
noch nicht zu Bette, da wurde er durch wahn-
sinniges Klingeln erschreckt. Wenige Augen-
blicke später trat sein Begleiter von vorhin ins
Zimmer, kreidebleich und mit Augen, in denen
das Entsetzen stand. „Ich muß Sie bitten, mir
für heute NachtGastfreundschaft zu gewähren'’',
sagte er. „Ich bin am Ende meiner Kraft und
nichtimstande, dieseNacht allein zu verbringen.
Hören Sie: daß ich vorhin, auf der Theresien-
straße, so plötzlich stehen blieb, geschah, weil,
seit geraumer Zeit schon, immer zwei bis drei
Schritte vor mir, eine Gestalt gegangen war,
die der meinen völlig glich. Ich glaubte an
Halluzinationen und wischte mir die Augen
mit Schnee — die Erscheinung blieb. Immer
hübsch vor mir, zwei bis drei Schritte. Als

wir uns getrennt hatten, begann ich zu rennen.
Da war der andere plötzlich verschwunden.
Wie ich dann aber durch den Hauskorridor
ins Stiegenhaus trete, steht er wieder vor mir.
Ich rufe — meine Stimme hallt dumpf in dem
leeren Hausaufgang. Noch immer gestand ich
mir nicht ein, daß ich die Erscheinung für et-
was anderes hielt als für die Ausgeburt der
Weingeister, die nach unserem vortrefflichen
Nachtmahle in mir rumorten. Ich ging hinauf
in mein Zimmer, ich trete an meinen Alkoven,
da... da liegt der andere bereits in
meinem Bette, wendet sich nun mir zu
und . . . nun sehe ich, wie er, wie ich — denn
er glich mir aufs Haar ...er war ich ....
sehe ich, wie er sich mir zuwendet, die Arme
erhebt, gleichsam wehrend meiner Absicht,
ins Bett zu steigen. Nein, Herr Doktor, da
hielt ich's nicht länger aus und kam zu Ihnen.“
Dr. S. nahm — der Skeptiker lächelte —
den Heimgesuchten bei sich auf und versprach
ihm für den anderen Morgen eine lustige, tag-
helle Erklärung der sonderbaren „Geisterer-
scheinung.“ Er war aber betroffen und in seiner
Weltanschauung aufs tiefste erschüttert, als,
anderntags, die Hausfrau des Nachtgastes
meldete — der Alkoven sei in den Morgen-
stunden über dem Bette des Freundes zusam-
mengebrochen. Hätte er darinnen gelegen —
nie wäre er mehr erwacht. R. R.
*
Prätorius berichtet in seinem Anthropo-
demus (nach Dobeneck zitiert):
Die Alten haben nichts anderes von den
Poltergeistern halten können, als daß es rechte
Menschen sein müssen, in der Gestalt wie
kleine Kinder, mit einem bunten Röcklein oder
Kleidchen. Etliche setzen dazu, daß sie teils
Messer in den Rücken haben sollen, teils noch

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