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Der Orchideengarten : phantastische Blätter — 1.1919

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Zwölftes Heft
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https://doi.org/10.11588/diglit.29026#0287
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Der Orchideengarien
Phantastische Blätter
Herausgeber Karl Hans Strobl A Schriftleiter Alf von Czibulka

Erster Jahrgang Zwölftes Heft

DIE FÖHRE DES DON LORENZO
Von Paul Rohrer. Mit 3 Zeichnungen von Otto Linnekogel

WIR ritten damals mit Schmugglerware
über das Gebirge herüber", schrie
Michael. Er war trunken und lag mit aufge-
knöpftem Rock in der steinernen Parkbank.
Seine Hand mit den zehn Ringen unserer ge-
fährlichsten Raubfahrten, mit dem Ring des
Grafen Corzan, mit dem Smaragd des Bischofs
von Valona, mit dem Rubin der Herzogin von
Acra, mit allem diesen kaltglühenden Schmuck
gepanzert, krallte sich um den Steinkopf am
Ende der Armlehne. „Wir wußten, daß uns
Don Lorenzo mit den venezianischen Sbirren
durch die Schluchten nachgezogen war. Da
rückten wir bei einem Vollmond wie heute
aus und töteten ihn mitten in seinem Masken-
fest.“
Wir anderen kauerten und streckten uns im
Grase und fluchten, daß der alte Kastellan uns
und Michael das Zech-
gelage vergällt hatte.
Was Teufel hatte er
von dem Geist des Don
Lorenzo zu erzählen?
Wir hatten die einsame
Bucht mit allem Erfolg
angelaufen, unbemerkt
die lombardische Seide,,
den Skutariner Samt
und den Schmuck und
dieGewürzkisten zuun-
seren Abnehmern in die
Stadt geschoben. Wir
wollten vor dem halb-
verfallenen Schlosse
das Glück ausschlafen.

Aber der Alte hockte unentwegt auf seinem
Säulenstumpf, im zahnlosen Munde die hol-
ländische Tonpfeife. Das Geständnis unseres
Kapitäns war ihm gleichgültig. „Don Lorenzo
lebt hier in den Blumen und Bäumen, die er
gepflanzt hat“, wiederholte er. Und er be-
schrieb mit der schlottrigen Hand einen weiten
Halbkreis durch die Luft und über den nächt-
lichen Park. „Keine Pflanze, die nicht ‘er ist.
Die verwilderten Rosen seine Lüste, das Dorn-
gestrüpp sein Haß, die verschlungenen Föhren
seine von Rachsucht verkrümmten Hände.“
„Dann will ich bei ihm schlafen“, brüllte
Michael plötzlich auf, daß es uns von seiner
Gier kalt um das Rückgrat lief. „Ich will in
dem Zimmer schlafen, wohin er mein Weib
geschleppt hat. Sein böses Gewissen gegen das
meine! Leuchte mir hinauf!“
Entsetzen ergriff uns.
Das Mahl im Grünen,
das so froh begonnen
hatte, daßuns an Lebens-
lust bald nichts als ein
paar dralle Dirnen ab-
gegangen waren, drohte
zu einem Kampf gegen
das Unsichtbare zu wer-
den. Keiner unter den
Burschen hatte nicht
schon im Gefecht um
eine brennende türki-
sche Galeere oder hei
der Plünderung eines
Küstendorfes erfahren,
wozu ein Alraun oder
 
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