EIN SONDERBARER BRIEF
Von Georg P. M. Roose. Berechtigte Übersetzung aus dem Flämischen von Georg Gärtner
Mit 3 Zeichnungen von Karl Rahus
WIE die meisten Schriftsteller lege ich
nicht viel Wert mehr auf mein Werk,
wenn es geschrieben und erschienen ist. Ich
dachte also gar nicht mehr daran, daß ich einige
Tage vorher eine Skizze „Die Rosenblättchen“
geschrieben hatte, als die Morgenpost mir den
folgenden sonderbaren Brief brachte:
„„Sehr geehrter Herr,
Ich kenne Sie nicht, und Sie kennen mich
nicht. Mein Name tut nichts zur Sache. Wenn
ich ihn nenne, wird er Ihnen ja doch nichts
weiteres über mich offenbaren. Ich glaube
auch, dal? ich mit Ihnen nicht weiter in Be-
ziehung komme als durch diesen Brief. . . .
Weil? man es? . . . Es mag Sie weiter nicht
verwundern, dal? ich Ihnen auf Niederländisch
schreibe; ich bin Holländer . . .
(Die Briefmarke, die ich nach dieser komi-
schen Einleitung nachsah, trug den Stempel
eines Postamts in München.)
Sie sprechen in einer Erzählung, betitelt
„Die Rosenblättchen“, von Toren, die geöffnet
waren und durch die man in eine geheimnis-
volle Welt schauen konnte. Sie sagten, dal?
das Hineinschauen uns Menschen mit Angst
erfülle . . . Sie haben recht.
Aber was mögen Sie wohl denken, was der
empfindet, der nicht nur in diese geheimnis-
volle und sehr reale V/elt blicken darf, son-
dern der auch von sich bezeugen kann, dal? er
in dieser geheimnisvollen und beängstigenden
Welt gelebt hat? ... Ich bin dieser
Mann...
Während der wunderlichen und traurigen
Tage der seltsamen, schier unbegreiflichen
„Verflüchtigung“ des bewundernswertesten
Heeres, das jemals die Welt gesehen hatte,
machte ich einen Besuch bei meinem Freunde
Dr. Bendorff zu Osnabrück. Seit diesem Be-
such habe ich keine Ruhe mehr gekannt . . .
Dr. Bendorff ist. was Sie vielleicht wissen,
Besitzer einer der schönsten Altertümer-
sammlungen, zusammengebracht durch den
wundersamsten Geschmack und den zähesten
Eifer, den man sich vorstellen kann. Mit den
Jahren ist diese Sammlung so umfangreich ge-
worden, dal? alle Zimmer seiner schönen und
verhältnismäßig großen Villa köstliche und
unglaubliche Gegenstände aus j’eder Art Alter-
tum bergen. . . .
Nach dem Abendessen und nach dem fröh-
lichen Erguß unsrer Freude über unserWieder-
finden nach so langer Abwesenheit (mein
Freund war während des ganzen Krieges in
Galizien, Polen und der Ukraine gewesen)
hatten wir uns auf dem Balkon seiner Villa
niedergelassen und rauchten allerduftigsten
Tabak aus echten holländischen Pfeifen, . . .
„Goedewaagen, Gouda“.
Und wir sprachen von den neuen Anwer-
bungen für seine schon so reiche Sammlung.
Ich meinte, daß sie während des Krieges und
während des Zuges durch diese fremden
Länder auf bedeutsame Weise zugenommen
habe. Dies war indessen nicht der Fall.
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