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Sonnenlichte ... — und es ausstreckend, gebot
er Stille . . . Das Tanzen hörte auf . . . und
wieder blieben die Menschen in den Haltungen
stehen, die sie hatten, als das Wort des jungen
Mannes ihre Ohren traf... Ich vernahm kein
Wort . . . Ich sah nur, wie er sein Schwert
erhob, wie das Sonnenlicht blitzte in der Spitze
der schrecklichen Klinge, als leuchtete dort
ein Edelstein . . . und wie es dann niederfuhr
auf die junge Frau, deren herrliches Haupt mit
einem Schlag von dem vollkommen schönen
Rumpfe getrennt ward . .. Die Tänzer blieben
regungslos, und bleich vor Schrecken sah ich
alle Gesichter, die der schönen Frauen, die um
die herrliche Tote knieten, und die der Tänzer,
die einen Augenblick zuvor noch rot und heil?
von dem wilden Tanz gewesen waren . . .
Dann begann bei der armen blutenden Leiche
der junge schöne Mann zu tanzen, sein Schwert
schwingend, und . . . und als er auf die Menge
sch aute, tanzte sie mit ihm... in immer schneller
werdendem Tempo. . . .
„Aber ichhabe gemeint, du tanztest selbst..
sagte Dr. BendorfiF.
„Nein,“ sagte ich,...
„so ist es nicht... Ich
habe das Gefühl, dal?
ich diese arme Frau
gegen die Gewalttat
des schönen jungen
Mannes schützen soll-
te... Dal? ich ihm sein
Schwert nehmen soll-
te.damiterkeineUbel-
tat begehen könne ...“
„Und du sitzest hier
mit demSchwerteJans
van Leyden in der
Hand?“ Dann schwieg
er einen Augenblick,
dachte nach, und zur Büchersammlung ge-
hend, nahm er dort ein sehr kleines Büch-
lein, er zeigte es mir, und ich las: „Die
Wiedertäufer in Münster, Geschich-
te des Schneider- und Schwärmer-
Königs Jan van Leyden, Anno 1535
von August Ludwig von Schlözer,
1784.“ Er zeigte mir das Büchlein und suchte
einen Augenblick. Dann las er zu meinem
allergrößten Befremden: „Eine von den Kö-
niginnen, die Else Gewandscherers, sagte hier-

bei einst: sie glaubte nicht, daß das Gottes
Wille wäre, daß man das arme Volk so
totschmachten ließe; da sie selbst doch noch
alles im Überfluß hätten. Der König nahm
die arme Else; führte sie samt seinen andern
Weibern auf den Markt; hieß sie niederknien,
die anderen W'eiber um sie herum; holte das
Richterschwert und hieb ihr den Kopf ab, bloß
weil sie obiges gesprochen und mit dem armen
Volke Mitleid gehabt. — Dann, mitten auf dem
Markt, hob der König einen Tanz an, und alles
Volk tanzte mit schwerem Herzen und leerem
Magen, denn es hatte nichts mehr zu essen . . .“
Aber wie, mein Herr, würde auch Ihr Be-
fremden sich nicht in keine Ruhe lassendes
Entsetzen verwandeln, wenn Sie, getrieben
durch Ihr Verhängnis, das sie zur Lösung des
Rätsels Ihres Lebens zwingt, bei einer Unter-
suchung nach dem Ursprung Ihrer Familie, ge-
schrieben schwarz auf weiß von dem gewissen-
haftesten und genauesten Forscher, den Beweis
erhielten, daß die Mutter eines Ihrer bedeutend-
sten Vorfahren gewesen ist Elisabeth Gewand-
scherers, Königin von
Münster durch Ver-
ehelichung mit dem
König Jan van Leyden.
Ich will hier nicht
denken an die armen
Völker, die, hungernd
nach Recht und mit
leerem Magen, tan-
zen müssen nach dem
Willen in- und aus-
ländischer demokra-
tischer oder anderer
Despoten. Ich drücke
hier nur den herz-
lichen Wunsch aus,
daß alle Menschen mit
Gottes Hilfe befreit bleiben mögen von dem
Schrecklichsten, das es gibt . . . einige Augen-
blicke zu leben in einer Wrelt, die nicht die
unsrige ist . . . Despoten jeder Art kann man
vertreiben durch Einigkeit und Liebe von
Mensch zum Menschen, aber die Unruhe und
die Angst, die man von dort mitbringt, bleiben
bei dem Menschen bis auf seinen letzten Tag .. .
und ich meine, bis vor den Richterstuhl des
Allerhöchsten . . .
Gott sei uns allen gnädig . .
 
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