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Der Orchideengarten : phantastische Blätter — 1.1919

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Dreizehntes Heft
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https://doi.org/10.11588/diglit.29026#0312
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Von dem Tage an, da ich es wußte, daß ich
lungenkrank sei, war ich von dem Gedanken
besessen, niemals mit zwölf Menschen zugleich
in einem Raume zu sein. Ich lachte über mich
selbst, ich machte mich lustig über den Aber-
glauben alter Weiber, doch die bohrende Angst
in mir war stärker als jede noch so schön zu-
rechtgelegte Verstandeserwägung.
Sie dürfen es mir glauben, Herr Staats-
anwalt, ich habe seither Hunderte von Men-
schen gefragt, ob sie
mir einen wahr-
heitsgetreuenFall er-
zählen könnten, daß
der Dreizehnte einer
Gesellschaft im sel-
ben Jahre gestorben
sei. Jeder wußte nur
Fälle vom Hören-
sagen, doch kein ein-
ziger konnte mir be-
richten, daß er selbst
einmal in einer Ge-
sellschaft von Drei-
zehn gewesen und
einer dieser Drei-
zehn dann gestorben
sei.
EsistnichtW ahn-
sinn, was ich Ihnen
nun gestehe, es ist
Wahrheit und bleibt
W ahrheit, trotzdem
sie an Wahnsinn
grenzt!
Als ich die Ein-
ladung zu Maria de
Valoris Hochzeit er-
hielt, wollte ich erst die Einladung ableh-
nen, denn ein unbehagliches Gefühl sagte
mir mit nahezu unbedingter Gewißheit, ich
würde bei dieser Hochzeitfeier etwas Entsetz-
liches erleben. (Glauben Sie nicht, Herr Staats-
anwalt, daß ich mir dies nachträglich einbilde.)
Mein Gefühl sträubte sich wie ein ängstliches
Tier gegen eine Gefahr, doch mein Verstand
verhöhnte meine Ängstlichkeit, ja, mein Ver-
stand riß mich in den Schwindel und Trug-
schluß, ich müsse nun erst recht zu dieser Feier
hin, um endlich einmal diese lächerliche Angst,
der Dreizehnte einer Gesellschaft zu sein, zu

verwinden. Ich machte noch vor mir selbst
den Witz, die Hausfrau würde einen Drei-
zehnten gar nicht einladen, weil ja das nötige
Gedeck in gleichem Muster für die Tafel
fehlen würde — und hätte sie mehr Gedecke,
so würde sie statt zwölf sicher vierundzwan-
zig Gäste einladen. Auf dem W'ege zur
Kirche redete ich mir selbst beruhigend zu,
ich sprach begütigend mit mir selbst wie ein
Vater mit seinem verängstigten Kinde.
Daß wir dasHoch-
zeitsmahl in der Log-
gia des Palazzo Stra-
mare einnahmen,
wissen Sie ja, Herr
Staatsanwalt, ich
brauche also nicht
zu beschreiben, wie
der „Tatort“ aus-
sieht, doch wichtig
scheint es mir. Ihnen
zu sagen, welcher
Lebensrausch plötz-
lich meine Muskeln
straffte, als ich hier
in dieser Umgebung
an der Tafel saß.
Dieser lange, damast-
überdeckte Tisch,
auf Mosaikboden,
zwischen jahrhun-
dertealten Säulen,
dieser unbeschreib-
liche Ausblick aufs
offene Meer, die
weißschimmernde
Steintreppe zwi-
schen dunklen, me-
lancholischen Zypressen, hinunterführend zum
nahen Strand, rechts und links von der Loggia
der Frühlingspark mit seinen uralten Pinien,
den Oleander- und Immergrünbüschen, den
Orangen- und Zitronenbäumen, dieser erregend
süße Duft südlicher Blüten, ach welch heiße
Lebensgier dies Frühlingsfieber der Natur
durch meine Adern jagte! Um mich herum
diese südlich fröhlichen Menschen mit ihren
volltönenden lachenden Stimmen!
Und dann dieser plötzliche Riß in meine
Glücksstimmung, als Marchese Pace auf das
Meer hinauswies auf ein herandampfendes


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