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niederließ, um zu warten und zu beobachten,
leb sab sie einen Brief aus dem Busen nehmen
und verstohlen an die Lippen drücken. Ich sah
das Licht der Liebe in ihren Augen. Und
dann — dann hatte ich begriffen.
Ich bestellte ^Vein und trank und trank.
Jetzt schadete es doch nichts mehr.
So warteten wir
etwa eine halbe
Stunde lang und sie
lächelte die ganze
Zeit über. Ich wußte,
dal? ihr Herz rasch
poche, denn sie war
sehr blaJ?. Und dann
kam er. Ich erkannte
ihn sofort. Mein Kopf
begann zu wirbeln.
Maritsa und ich
waren oftmitManu-
skripten zu ihm ge-
gangen; er hatte sie
immer mit dunklen,
bewundernden Blik-
ken verschlungen.
Und ich war so stolz
auf ihre Schönheit!
Nun wurde mir alles
klar. Er war so reich,
war hübsch und jung, — und ich — ein armer,
unbekannter, müdegehetzter Dichter.
Maritsa erblickte ihn. Aufspringend hielt
sie ihm ihre kleine Hand zum Willkomm hm.
Er blieb stehen, nahm die angebotene Rechte
mit einer Art ehrfurchtsvoller Zärtlichkeit ent-
gegen und führte die feinen unbehandschuhten
Finger an seine Lippen.
Ich fluchte leise vor mich hin, während er
sie anlächelte. Ich konnte es nicht länger er-
tragen. Wir Dichter sind nicht kaltblütig wie
andere Männer.
Mit einem wilden Fluch sprang ich zwischen
die beiden.
Maritsa schrie und floh auf die Gasse. Ich
spie ihn an, nannte ihn einen elenden Hund und
erlaubte meiner Zunge, all das Feuer, das mein
Hirn verzehrte, nach aul?en zu verpuffen. Er
mag an meinen Werken wenig Vergnügen ge-
funden haben; an jenem Abend muffe er mich
sprechen hören.

Zuerst lachte er, sagte, ich sei ein verrückter
Dichter und hieß mich heimgehen.
Dann wurde er zornig und schwor, er
werde mich hinauswerfen. DielKellner standen
kichernd umher. Ich erfaßte ein Weinglas,
schleuderte es an seinen Kopf und ging. Ich
habe ihn nicht getroffen. Das tut mir leid. Das
Glas prallte an einen
Spiegel und fiel zer-
splittert zu Boden,
indem es erklang wie
Schellengeläut.
Kleine Weinlachen
befleckten das Par-
kett und glühten pur-
purn wie Blut. Ich
lief keuchend heim.
Die Menschen starr-
ten mich mit großen,
runden Augen an.
Sie grinsten und
glotzten wie dumme,
fühllose Dinger.
Ich trat lautlos ein.
Maritsa lag schluch-
zend am Kamin, ohne
anderes Licht als das
der Kohlenglut. Der
i dunkelrote Glut-
schimmer drang in mein Hirn, das vom Wein
erhitzt war.
Dann erfaßte ich rasch ihre wirren Locken,
küßte wie rasend ihren weichen, süßen Mund
und wand die goldenen Fesseln ihres Haares
fest und fester um den blassen, warmen Hals.
Sie wehrte sich nicht, versuchte nicht, sich
zu rühren. Einmal hauchte sie meinen Namen,
dann war alles still.
Mit einer Hand band ich die Haarsträhne
fest, während die andere ihr Gewand aufriß
und des Nebenbuhlers Brief von ihrer weichen,
vollen, köstlich reifen Brust zerrte.
Ich fand das Papier, schob es in die Tasche
und sah sie wieder an. Sie rührte sich nicht.
Aber die goldenen Wellen ihres Haares be-
wegten sich gleich lebenden Feuerschlangen
und glitzerten im Herdlicht.
Ich sank ohnmächtig zu Boden und schlief
bis zur Morgendämmerung.
Als ich erwachte, hatte sie sich immer noch
 
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