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Der Orchideengarten : phantastische Blätter — 1.1919

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Fünfzehntes Heft
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https://doi.org/10.11588/diglit.29026#0365
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mit ihrer Liebe. Es löste sich nicht ohne Locke-
rung auf dem Grund des Gefühls.
Sie ging spazieren, allein, ruderte einmal am
Bois, ritt hin und wieder. Als ihre Schenkel
den Gaul erstmals fühlten, traf sich ihr Herzv
schlag mit Entferntem, sie wußte nicht mit was,
war es ein Schwan im Uferduft, eine Mispel
in der Pappelkrone, ein Auto, das den Horizont
anrannte. Sie kam anders zurück. Als sie die
Bibliothek kreuzte, wich ein höhnender Ar-
beiter aus, glitt ab, stürzte hinter ihr aufs Par-
kett, wobei er sich an ihrem Ärmel instinktiv
hielt. Aufschreiend blieb sie zitternd an der
W^and. Am Mittag in der Sonne lachte sie
über die plötzliche Furcht, aber die komische
Bewegung der Abwehr, die sie gesehen, ver-
breitete sich, machte sie düster, schweigsam.
Ihre Liebe gliederte sich darin. Der Über-
schwang kehrte zurück. Der Schwung dämpfte
sich. Was sie aus der innersten Tiefe gehoben,
gefürchtet, die Angst und die Sorge, standen
allein, kühl entfernt, die äußerste Spitze des,
was sie durchlebt, war nichts, ein Betrug. Sie
tötete diesen Gedanken und lächelte. Aber
wartete nicht mehr in die Ferne, zitterte nicht
mehr um ihn, wenn er ging und kam. Ein
Gleichgewicht kam. Sie reisten.
Er frug nach Plänen, ^Vünschen, lauschte
auf Ungesagtes, was ihr selbst nicht bewußt war,
verwöhnte sie namenlos. Dirigierte die Reise,
zeigte ihr kaleidoskopisch/kennerisch, abwech-
selnd, Wirkungen vertauschend, untermalend
das Hauchdünne, verwischend das Grobe, die
Schichtung der Wrelt,
die man einsog, be-
wunderte, genoß. Suchte
nach Flüssen, die im
Rauschen ihr genehm,
W^äldern, deren Schat-
tenfall ihrer Lunge lieb
war. Ebenen, die das
Auto kielte, Gebirg, in
dem der Aufschwung
mit dem Tagaufgang
über die Zacken rann.
Doch einte die Land-
schaft sie nicht noch
tiefer, die Bilder glitten
harmonisch. W'o aber
die Kontraste stiegen
und rasten, gab es keinen

Brennpunkt, in den ihr Gefühl zusammenfloß,
sondern sie jagten auseinander, so dies und so
das. An einem Abend sahen sie eine italie-
nische Oper. In der Nacht sah Daisy Le Beau
im hellen Licht neben sich.
Seine Beine wie aus Bronze spielten den
Rumpf hinauf, der den Fechter zeigte, zu-
sammengerissener und stählerner in der Span-
nung wie in den Marmorsälen die Ringer. Sein
kluger Kopf war voll Geist, auch wenn die
Lider sich schlossen. Sie sah es klar, zum
erstenmal. Denn es trat in sie in dieser Nacht,
zu sehen ohne Rausch und ohne Haß.
Das Licht flimmerte kühl, und es banden sich
die Enden der großen Kantilenen der Sängerin
an das Ende ihres erwachten Bewußtseins, und
an der Höhe der Kantilenen ermaß sie die
Höhe des, was sie erstrebt, erglüht, als ihre
Stimme noch das Ziel war und ihre kindliche
Sehnsucht glaubte, dort sei der Ruf. Sie drehte
um. Sie sah den Körper neben sich, edel und
schön wie wenige, auch liebte sie ihn. Sie
fühlte alles, was von ihm zu ihr gekommen,
Begeisterung, Hingabe und Wollust, aber es
blieb unten. Genügte es? W'ar es so viel, daß
es sie erfüllte? Es war, was ein Mann an Liebe
ihr geben konnte, fast mehr. Aber sie spürte wie
Ziehendes, sie Beschwingendes und Reißendes
die Spitze des abends eingeatmeten Gefühls
über sich schweben, sah alles sich hinneigen
nach der Höhe, erblaßt fiel ihr Kopf zurück.
Die lange Strecke, die lag, zwischen dem, was
sie erträumt und dem was sie erreicht und
besaß, traf sie vernich-
tend. Lange lag sie kalt,
halb schlafend. Ein Ge-
sicht tauchte auf, sie
lächelte, es verblaßte
wieder. Lange lag sie
gewiegt von Dingen,
die sie streiften, nie ent-
fachten. Aber im langen
Wachen erkannte sie
unerbittlich, wie leer
ihr Zustand schwebe
und daß d’es nicht sie
erfülle, und wie unend-
lich überlegen ihr Ge-
fühl schon dem Augen-
blick geworden, in dem
sie war.


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