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Der Orchideengarten : phantastische Blätter — 1.1919

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Fünfzehntes Heft
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https://doi.org/10.11588/diglit.29026#0366
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(Paris 1&43)
ASOKADATTAS ZWEIFACHE LIEBE
Nach dem Indischen von Kurt Morech

Asokadatta war der Sohn eines gelehrten
^.Brahmanen, der durch menschliches Miß-
geschick sehr verarmt war. Durch die Güte eines
reichen Kaufmannes aber wurde der Sohn in
den Wissenschaften unterrichtet und erwuchs
in Fecht- und Leibesübungen zu einem so starken
und gewandten Jüngling, dal? kein Gegner der
Erde ihm überlegen war. Bei einem Götterfeste
zu Varanasi überwand er alle die erprobten
Ringer des Königs, und dieserBeweis derStärke
und des Mutes machte ihn zum Genossen und
Freund des Königs. Eines Tages ging der König
durch das Tor der Stadt, um den Gott Siva in
seinem großen Tempel zu verehren. Als er nach
vollbrachtem Opfer in der Nacht zurückge-

kehrt war, kam er in die Nähe der Leichen-
stätte und hörte von dort eine Stimme ihn an-
rufen: „Seit drei Tagen, o Herr, bin ich hier
am Pfahl gespießt, weil der Oberrichter, der
michhaßt, mich fälschlich des Mordes angeklagt.
Den Unschuldigen wollen die Lebensgeister
nicht verlassen! Mich dürstet, o König! Lasse
mir V^asser reichen!" Voll Mitleid wandte
der König sich an Asokadatta und sprach: „Laß
diesem Unglücklichen Wasser bringen!" Aso-
kadatta aber erwiderte: „Wer würde es wagen?
Ich will es selber tun!“ Er nahm Wasser und
ging, während der König in seine Hauptstadt
zurückkehrte.
Der mutige Asokadatta betrat die Leichen-

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