HERRN ULRICHS MUNDOPERATION
Aus Ulrichs v. Liechtenstein ,.Frauendienst“ (1255) nach dem Mittelhochdeutschen von Ferdinand Weinhandl
Initiale von R. von Hoerschelmann
o nun mein Mund ist mil?gestalt',
ersehnter Gunst em Vorbehalt,
so will ich ihn denn schmerzlich
schneiden,
ermannte mich und ritt zu leiden
nach Graz hin in das Steierland,
wo ich viel gute Meister fand.
Dem besten tat ich zu der Stund
gar allen meinen Willen kund.
Der Arzt und Meister aber spricht:
„Ich schneid euch vor dem Maien nicht.
Kommt ihr mir in dem Maien her,
des Wunsches sei euch denn Gewähr:
ich mach euch euern Mund also,
dal? ihr sein seid von Herzen froh.
Der Ding' ich gar ein Meister bin,
ich hab dazu viel Schick und Sinn."
Drauf ritt ich wieder Fraun zu sehn,
liel? drob den W’mter erst vergehn,
bis dal? der sül?e Sommer kam
und dal? der Winter Ende nahm.
Da hört ich singen Vögelein
und sprach zu mir: „Es mul? nun sein,
nach Graz mul? Ulrich jetzund fahrn,
Gott mög' ihn gnädiglich bewahrn!“
So ritt ich hin in Gottes Pflege.
Da kam daher auf meinem Wege,
seht, meiner Dame Knecht, den ich
erkannt und er erkannt auch mich.
Er fragte, wo ich wollte hin,
wohin zu Zeiten war' mein Sinn.
„Gesell, das will ich nicht verhehlen
und seltne Märe dir erzählen.
Nun wisse denn: gleichwohl gesund,
will ich mich machen gerne wund.
Man soll zu Graze schneiden mich."
Der gute Mensch bekreuzte sich
und sprach: „Nun Herre sagt, warum?"
Ich sprach: „Geselle, ei, darum:
Der Lippen, der ich dreie han,
will ich mir eine schneiden lan.“
Da ritt ich hm und mit mir ritt
nach Graz der Herrin Knappe mit,
allwo ich meinen Meister fand,
der flink sich meiner unterwand.
Ein Montag wars, der Tag begann,
da hub er mit dem Schneiden an.
Er wollt mich binden, aber nein,
mein freier Wille sollt es sein.
Zu Boden all mein Fürchten sank.
Ich saJ? vor ihm auf einer Bank.
Er nahm ein Messer in die Hand,
Wie s vom Barbier euch wohl bekannt.
Damit durchschnitt er ob den Zähnen
den Mund; mir standen fast die Thränen,
doch hielt ich herzhaft noch an mich,
bis dal? der arge Schrecken wich.
Er hat mich meisterlich geschnitten:
doch hab ichs männlich auch erlitten,
der Mund mir allzumal geschwoll,
als wie em Schlagball grol? und voll.
Der Wunde pflag er recht und schlecht.
Das sah da meiner Frauen Knecht,
er sprach zu mir: „Mögt ihr genesen,
so bin ich gerne hier gewesen.
Als ich vor kurzem von euch ritt,
— ich teilte meiner Herrin mit,
dal? man euch wollte schneiden hie,
das aber wollt sie glauben nie —
da sprach sie wörtlich: ,Er tut's nicht,
nein, nein, das tut er wirklich nicht.
Es däucht mich wahrlich dumm getan,
wollt er sich also schneiden lan ."
Ich freute mich gar sehr hernach,
doch kam vom Hunger Ungemach
und auch vom Durste, den ich litt,
könnt nehmen keinen Bissen nit.
Mir taten alle Zähne weh.
Ein Sälblein, grüner denn der Klee,
strich man mir reichlich in den Mund,
das stank als wie em fauler Hund.
Nun hab ich euch genug gesagt,
wie ich durch Minne hab gewagt
den Mund und wie geheilt ich ward
auf dieser sauren Minnefahrt.
Zu Graz ich also lange sal?,
bis dal? mein Leib gar wohl genas.
Drauf kehrt ich heim in deren Sold,
die mich nun lieber sehen wollt.
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Aus Ulrichs v. Liechtenstein ,.Frauendienst“ (1255) nach dem Mittelhochdeutschen von Ferdinand Weinhandl
Initiale von R. von Hoerschelmann
o nun mein Mund ist mil?gestalt',
ersehnter Gunst em Vorbehalt,
so will ich ihn denn schmerzlich
schneiden,
ermannte mich und ritt zu leiden
nach Graz hin in das Steierland,
wo ich viel gute Meister fand.
Dem besten tat ich zu der Stund
gar allen meinen Willen kund.
Der Arzt und Meister aber spricht:
„Ich schneid euch vor dem Maien nicht.
Kommt ihr mir in dem Maien her,
des Wunsches sei euch denn Gewähr:
ich mach euch euern Mund also,
dal? ihr sein seid von Herzen froh.
Der Ding' ich gar ein Meister bin,
ich hab dazu viel Schick und Sinn."
Drauf ritt ich wieder Fraun zu sehn,
liel? drob den W’mter erst vergehn,
bis dal? der sül?e Sommer kam
und dal? der Winter Ende nahm.
Da hört ich singen Vögelein
und sprach zu mir: „Es mul? nun sein,
nach Graz mul? Ulrich jetzund fahrn,
Gott mög' ihn gnädiglich bewahrn!“
So ritt ich hin in Gottes Pflege.
Da kam daher auf meinem Wege,
seht, meiner Dame Knecht, den ich
erkannt und er erkannt auch mich.
Er fragte, wo ich wollte hin,
wohin zu Zeiten war' mein Sinn.
„Gesell, das will ich nicht verhehlen
und seltne Märe dir erzählen.
Nun wisse denn: gleichwohl gesund,
will ich mich machen gerne wund.
Man soll zu Graze schneiden mich."
Der gute Mensch bekreuzte sich
und sprach: „Nun Herre sagt, warum?"
Ich sprach: „Geselle, ei, darum:
Der Lippen, der ich dreie han,
will ich mir eine schneiden lan.“
Da ritt ich hm und mit mir ritt
nach Graz der Herrin Knappe mit,
allwo ich meinen Meister fand,
der flink sich meiner unterwand.
Ein Montag wars, der Tag begann,
da hub er mit dem Schneiden an.
Er wollt mich binden, aber nein,
mein freier Wille sollt es sein.
Zu Boden all mein Fürchten sank.
Ich saJ? vor ihm auf einer Bank.
Er nahm ein Messer in die Hand,
Wie s vom Barbier euch wohl bekannt.
Damit durchschnitt er ob den Zähnen
den Mund; mir standen fast die Thränen,
doch hielt ich herzhaft noch an mich,
bis dal? der arge Schrecken wich.
Er hat mich meisterlich geschnitten:
doch hab ichs männlich auch erlitten,
der Mund mir allzumal geschwoll,
als wie em Schlagball grol? und voll.
Der Wunde pflag er recht und schlecht.
Das sah da meiner Frauen Knecht,
er sprach zu mir: „Mögt ihr genesen,
so bin ich gerne hier gewesen.
Als ich vor kurzem von euch ritt,
— ich teilte meiner Herrin mit,
dal? man euch wollte schneiden hie,
das aber wollt sie glauben nie —
da sprach sie wörtlich: ,Er tut's nicht,
nein, nein, das tut er wirklich nicht.
Es däucht mich wahrlich dumm getan,
wollt er sich also schneiden lan ."
Ich freute mich gar sehr hernach,
doch kam vom Hunger Ungemach
und auch vom Durste, den ich litt,
könnt nehmen keinen Bissen nit.
Mir taten alle Zähne weh.
Ein Sälblein, grüner denn der Klee,
strich man mir reichlich in den Mund,
das stank als wie em fauler Hund.
Nun hab ich euch genug gesagt,
wie ich durch Minne hab gewagt
den Mund und wie geheilt ich ward
auf dieser sauren Minnefahrt.
Zu Graz ich also lange sal?,
bis dal? mein Leib gar wohl genas.
Drauf kehrt ich heim in deren Sold,
die mich nun lieber sehen wollt.
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