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DER GEKREUZIGTE PFARRER
Nach dem Urtext des Nicolas de Troyes (1535) von Alf von Czibulka. Mit 2 Zeichnungen von Otto Linnekogel.

VOR nicht allzulanger Zeit lebte im Städt-
chen Troyes ein Maler. Der war recht-
schaffen, brav und fleißig und betrieb überdies
einen Kramladen. Nun hatte dieser Maler eine
schöne und ehrsame Frau. In dem Städtchen
war aber auch ein Pfarrer, der in die schöne
Malerin so verliebt war, dal? er sich die Fül?e
nach ihr ablief. Sie hatte ihn schon so oft
abweisen müssen, dal? sie darob erboste und sich
entschloß, ihrem Mann darüber zu erzählen.
Nun kamen eines Tages aus der Umge-
bung — so von fünfzehn oder sechzehn Mei-
len her — zwei Abgesandte eines kleinen
Marktes, die die Gescheitheit nicht zu sehr
bedrückte, und die ein Kruzifix für ihre Kirche
kaufen wollten. So kamen sie von ungefähr
in den Laden des Malers, von dem ich euch
erzählte. Der fragte sie: ,JWüs begehren wohl
die Herren ?“ Und der eine sprach: „Meister,
wir wollen dies: Ihr mül?t nämlich wissen,
dal? wir unser Kirchlein mit neuem Mauerwerk
verkleidet haben. Und da wir s nun einmal un-
ternehmen, unsereKirche fein zu machen,wollen
wir auch ein schönes Kruzifix. Das soll grol?
und fest sein, und da man uns sagte, dal? Ihr
der Rechte wäret, so haben wir uns an Euch
gewandt und wir wollen es auch gut bezahlen.“
„Schön“ — sagte der Maler — „ich gebe
Euch, was Ihr verlangt,
aber welche Gröl?e
soll's denn haben ?“ Da
erwiderte der eine der
Gesandten: „Es soll
schön sein und die
Gröl?e eines Mannes
haben.“ „V ortrefflich“
— sprach der Maler
— „wollt Ihr es leben-
dig oder tot?“ „Beim
heiligen Johannes“ —
riefen die beiden —
„darüber hat man uns
nichts gesagt und wir
müssen uns entschei-
den, welches wir
nehmen wollen. Aber
wil?t Ihr, was wir tun,
Meister? Gebt uns

Urlaub bis zum nächsten Morgen, dann kom-
men wir wieder und geben Euch Antwort.“
„Nun wohl, so geht mit Gott“ — sagte der
Meister.
So gingen sie, sprachen über ihre Geschäfte
und rieten hin und her, ob sie zurück in ihre
Gemeinde gehen sollten, um zu erfahren, ob
das Kruzifix tot oder lebend sein solle. Endlich
entschlol? sich doch der eine und sprach : „In
unser Dorf zurückzukehren, wär' wohl zuviel
der Mühe und kostete die Pfarre ein schönes
Stücklein Geld. Aber ich hab' mir's anders
überlegt. ^Vir nehmen ein lebendiges, und wenn
wir heimgekehrt sind, verstecken wir s und fra-
gen, wie man es haben will. Wollen sie es le-
bendig, so bringen wir es wie es ist, wollen sie
es tot, so machen wir es kalt.“ — So waren sie
sich einig, legten sich aufs Ohr und schliefen
bis zum Morgen.
Um nun weiter vom Pfarrer und derMalers-
frau zu sprechen: Diese schöne Frau, die so
brav und ehrbar war und die über die Reden
des Pfarrers so erzürnte, erzählte ihremManne,
dal? der Pfarrer sie zu bösen Dingen verleiten
wolle, wo immer er sie sehe und ihr Gold und
Silber, Ringe und Kleinodien verspreche und
alles, was es Schönes gebe. Und der Gatte
sprach: „Weil?t du, was du tust? Wenn er
dir wieder begegnet
und dir soviel Geld an-
bietet, sagst du ihm,
dal? du dich freust.
Ich werde zum
Scheine wegfahren,
unerwartet wieder-
kommen und ihn nackt
im Bett erwischen.
Und bei Gott, er wird
sein Geld und seine
Kleider lassen, wenn
ihn nicht überhaupt
der Teufel holt.“
Es dauerte nicht
lange,kam der Pfarrer
zu der Frau und sprach
zu ihr, wie er s ge-
wöhnt war. Da sagte
die Frau: „Hochwür-
 
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