Der Orchideengarten
Phantastische Blätter
Herausgeber Karl Hans Strobl A Schriftleiter Alf von Czibulka
Erster Jahrgang Hett 16/17
AUS DEN PHANTASIEN IN DER MANIER REMBRANDTS
UND CALLOTS DES GASPARD DE LA NUIT
Übertragen von Magda Janssen
Die Nacht und ihre Wunder.
I. Ein gotisches Gemach.
Nox ct solitudo ptenae sunt diakolo
(Die Kirchenvater.)
Näcktling* ist meine Kammer voll
Teuf *1.
„Oh, die Er de“, murmelte ich gegen die Nacht,
„ist ein durchdüfteter Kelch, und ihre Blumen-
griffel und Staubfäden sind Mond und Sterne!“
Und mit schlummerbeschwerten Augen schloß
ich die Lichtöffnung, die das Kreuz der Schädel-
stätte übersinterte. Schwarz dräute es mir da
aus der gelben Ehrenkrone der Glasscheiben
entgegen.
„Wenn es noch Mitternacht wäre —", die
Stunde, da Drachen und Teufel ihre Wappen
ausbreiten — und der Erdgeist sich am Ol
meiner Lampe besöffe!
Oder wär’s die Säugamme, die in der Rüstung
meines Vaters mit einförmigem Gesang ein tot-
geborenes Kindlein wiegt! — Oh, wär's das
Gerippe der Landsknechte, das im Holzgetäfel
gefangen sitzt
und mit Stirn,
Ellenbogen und
Knien anstößt!
Oder mein Ahn,
der seinem
wurmstichigen
Bildrahmen zu
Füßen steigt um
den Panzer-
handschuh in das
geheiligte
V?asser des
Weihkessels zu
tauchen!
Doch es ist Scarbo. Er beißt mich in den
Hals und, um meine blutende Wunde auszu-
brennen, steckter seinen Finger aus Eisen hinein,
den er zuvor im Schmelzofen rot glühte.
II. Der Zwerg.
— „Du, Bcknell auf* Pferd 1‘*
— ,,V/ie denn? — Und warum auek
nickt ?
Bin ick dock so oft ackon im Galopp
auf einem Windkund de* Herr»
von Linlitkgow geritten.'*
Sckottiscke Ballade.
Ich hatte beim Aufrechtsitzen von meinem
Lager aus im Schatten meiner Bettvorhänge
diesen flüchtigen Schmetterling gefangen, der aus
einem Mondstrahl oder einem Tautropfen aus-
gekrochen war.
Ein zuckender Nachtfalter, der mir ein Löse-
geld von Wohlgerüchen zahlte, um seine ge-
fangenen Flügel aus meinen Fingern zu befreien.
Aber plötzlich flog das landstreichende
Tierchen von dannen und ließ — o Schauder!
in meinem Schoße eine ungeheuerliche Larven-
mißgestalt mit
menschlichem
Kopfe zurück.
— „Wo ist
deine Seele, daß
ich darauf reite?'
— „Meine Seele,
die, vom Tag er-
schöpft, wie ein
ungeschlachtes
Frauenzimmer
hinkte, ruht jetzt
auf der vergol-
deten Sänfte der
Träume.“
Jacquc* Callot
Phantastische Blätter
Herausgeber Karl Hans Strobl A Schriftleiter Alf von Czibulka
Erster Jahrgang Hett 16/17
AUS DEN PHANTASIEN IN DER MANIER REMBRANDTS
UND CALLOTS DES GASPARD DE LA NUIT
Übertragen von Magda Janssen
Die Nacht und ihre Wunder.
I. Ein gotisches Gemach.
Nox ct solitudo ptenae sunt diakolo
(Die Kirchenvater.)
Näcktling* ist meine Kammer voll
Teuf *1.
„Oh, die Er de“, murmelte ich gegen die Nacht,
„ist ein durchdüfteter Kelch, und ihre Blumen-
griffel und Staubfäden sind Mond und Sterne!“
Und mit schlummerbeschwerten Augen schloß
ich die Lichtöffnung, die das Kreuz der Schädel-
stätte übersinterte. Schwarz dräute es mir da
aus der gelben Ehrenkrone der Glasscheiben
entgegen.
„Wenn es noch Mitternacht wäre —", die
Stunde, da Drachen und Teufel ihre Wappen
ausbreiten — und der Erdgeist sich am Ol
meiner Lampe besöffe!
Oder wär’s die Säugamme, die in der Rüstung
meines Vaters mit einförmigem Gesang ein tot-
geborenes Kindlein wiegt! — Oh, wär's das
Gerippe der Landsknechte, das im Holzgetäfel
gefangen sitzt
und mit Stirn,
Ellenbogen und
Knien anstößt!
Oder mein Ahn,
der seinem
wurmstichigen
Bildrahmen zu
Füßen steigt um
den Panzer-
handschuh in das
geheiligte
V?asser des
Weihkessels zu
tauchen!
Doch es ist Scarbo. Er beißt mich in den
Hals und, um meine blutende Wunde auszu-
brennen, steckter seinen Finger aus Eisen hinein,
den er zuvor im Schmelzofen rot glühte.
II. Der Zwerg.
— „Du, Bcknell auf* Pferd 1‘*
— ,,V/ie denn? — Und warum auek
nickt ?
Bin ick dock so oft ackon im Galopp
auf einem Windkund de* Herr»
von Linlitkgow geritten.'*
Sckottiscke Ballade.
Ich hatte beim Aufrechtsitzen von meinem
Lager aus im Schatten meiner Bettvorhänge
diesen flüchtigen Schmetterling gefangen, der aus
einem Mondstrahl oder einem Tautropfen aus-
gekrochen war.
Ein zuckender Nachtfalter, der mir ein Löse-
geld von Wohlgerüchen zahlte, um seine ge-
fangenen Flügel aus meinen Fingern zu befreien.
Aber plötzlich flog das landstreichende
Tierchen von dannen und ließ — o Schauder!
in meinem Schoße eine ungeheuerliche Larven-
mißgestalt mit
menschlichem
Kopfe zurück.
— „Wo ist
deine Seele, daß
ich darauf reite?'
— „Meine Seele,
die, vom Tag er-
schöpft, wie ein
ungeschlachtes
Frauenzimmer
hinkte, ruht jetzt
auf der vergol-
deten Sänfte der
Träume.“
Jacquc* Callot