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MEER*

DAS
Von Leopold Plaickmger. Zeichnung von E. Plaichinger-Coltelli

EIN grell-scharf ahgeschnittener Licht-
schacht dringt aus dem Kaffeehaus und
zergrieselt zu Lichtschaum auf den Wogen-
kämmen der eben ansteigenden Flut. Ein langer,
welliggebrochenerSchattenläuftüber dieDünen.
Lichtumglüht steht ein Mädchen im Rahmen
derTüre. Musik quillt über und gibt dem ogen-
schlagen den Gleichtakt einesW eltenschreitens.
Da tauchtim Schwün-
ge einer Welle, weit-
gespreitet die Flügel,
eine Möwe in den
Lichtschacht. Das
Mädchen wirft die
Arme auf, als der
Lichtschrei derweilen
Möwe aus demDunkel
aufgrellt.Wie einStein
fällt der Vogel aufs
Wasser und schraubt
sich dann im großge-
zogenen Kreisel-
schwung wieder ins
Dunkel auf. Langsam,
gemessenen Schrittes
geht das Mädchen an
den Strand hinaus . . .
Wagerecht von ihrem Kopfe weg weht der
Schleier. Ein letztes Grüßen zu den Menschen
zurück im licht-und musikschäumenden Raum.
Nun steht sie auf weichem Sande, als wär’s
einMenschenleib, auf dem sie steht.Wasserleckt
an ihren Füßen. Sie wirft die Schuhe ab und
zieht die Strümpfe aus. Wie wohlig kitzelt
das W^asser die Beine herauf!... Laufeucht,
wie der Atem eines Riesen weht sie der Wind
an. Der schwüleGeruch vonTang undMuscheln,
dieser erregende Geruch von Liebe und Tod
steigt aus dem Grunde des Meeres auf...
Sie läuft aus dem Lichtschacht heraus und
tauchten die Finsternis einer entstirnten Nacht*
Nun streift'sie die Kleider ab und fühlt sich
* Au« ,,D ämonen de« Schweigen»“. Novellen.
Dreiländerverlag München.

durchschauert vom Glück des Nacktseins. Ab-
tastend gleiten ihre Finger den Körper auf und
nieder.
Wie plumpe Tiere hüpfen und rennen die
Flutwellen heran. Schon springt eine herauf
und küßt ihr die Knie. Zur Säule gebannt starrt
sie auf die saugende herandrängende Flut.
Woge — W'elle — Wogej—.jWelle — ...
singt die Musik aus
dem Strandkaffee.
Und plötzlich wirft
sich eine Welle in
ihren Schoß und
streicht ihr streichelnd
über die Schenkel
nieder. Den Atem hat
es ihr auf Augenblicke
erstickt.
. . . und draußen
winken die Wogen.
Noch einmal, noch
einmal das Meer
empfangen! Sie beginnt
zu schreiten dem
Meere zu . . .
Oh, dieses glück-
strömende Grauen!
Berge wälzen sich heran, dort weit draußen
bricht der Himmel ins Meer.
Und wieder stößt eine "Welle in ihren Schoß
und wirft sich schäumend an ihren Leih. Die
Arme muß sie breiten, um nicht hinzutaumeln,
die Arme muß sie breiten vor Lust. Hoch auf
wölbt sie die Brüste dem Drängen der Flut ent-
gegen. Schon netzt Gischt ihren Mund und ein
Lustschrei, wie Möwenschrei schrillt in die
Luft. AmStrande donnert der ersteWassersturz.
Im Sturmlauf rasen W'oge nach Woge heran.
Plötzlich wimmelt es imLichtschacht, Menschen
laufen durcheinander und rufen und schreien
einen Namen ins Donnern der Flut...
Draußen im Flügelschwunge einer Möwe
schwingt und tanzt auf den Wogen ein heller
Mädchenleib.


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