TOBIAS HUMBRUGKS VERWANDLUNG
Von Hanna ^VoElbold Mit 4 Zeichnungen von AVilhelm Heiae.
DER Herbstnebel lag wie ein dicker, gelb-
grauer Rauch über der dämmerndenLand-
straße, und an den schwarzen, feuchtglänzenden
Zweigen der Chausseebäume hingen nur noch
vereinzelt ein paar braune Blätter, die der letzte
Sturm vergessen hatte, mitzunehmen.
Ich wollte Tobias Humbrugk besuchen, den
ich seit mehr als drei Jahren nicht mehr ge-
sehen hatte. Er bewohnte ein kleines Haus,
das einsam und verloren zwischen den Wiesen
lag. ^Vütendes Hundegebell kam aus der Ne-
belwand, ein schwacher Lichtschein dämmerte
durch den rasch dunkler werdenden Abend,
und ich hörte die hohe, schrille Stimme Su-
sanna Humbrugks, die den tobenden Köter zur
Ruhe verwies. Gleich darauf tauchte ein paar
Schritte von mir entfernt die plumpe, massige
Gestalt der Frau meines alten Freundes aus
dem Nebel auf.
„Tobias zu Hause?“ — fragte ich sie, als sie
mich erkannt und wir uns begrüßt hatten.
„Er kommt wohl bald zurück. Treten
Sie ein, er wird sich gewiß sehr freuen. Sie zu
sehen.“
Sie nötigte mich in die Stube und war von
einer fast unterwürfigen Freundlichkeit, die
mir an dieser Frau ungewohnt erschien. Ich
kannte Susanna als ein äußerst mürrisches und
beinahe bösartiges Weib. Tobias hatte mir
einmal in seiner schüchternen Art gesagt, daß
sie ihm das Leben eine Woche lang schwer
machte, wenn er je einen Freund bewirtete.
Nur eine dringende Einladung, die ich vor ein
paar Tagen erhalten hatte, war die Veranlassung
gewesen, daß ich heute hierher kam.
Susanna setzte Tee
auf und brachte mir ein
Abendessen, zu dem sie
mich mit einer mir
völlig neuen und unge-
wohnten Sanftheit nö-
tigte.
Der Nebel war hinter
mir her in die Stube
gedrungen, und es schien,
als kröche er durch jede
Fensterritzeherein. Um
die große Lampe, die
über dem weiß gedeckten Tische hing, lag er wie
eine Dunstwolke, er ballte sich in den Ecken
zu Schwaden und legte einen halbdurchsichtigen
Schleier um alles, was in dem Raume war.
„Rauchen Sie!“ — sagte Susanna, als ich ge-
gessen und sie das Geschirr hinausgetragen hatte.
Ich zündete eine Zigarre an, und dann goß sie
mir Tee ein. Meine Neugier war wach ge-
worden. Ich hatte die Empfindung, daß ich
einem Rätsel gegenüberstand. Sie war eine
große vierschrötige Frau mit einem auffallend
kleinen Kopf und rohen, plumpen Zügen. Das
schon leicht ergraute Haar lag wie angeklebt
in dünnen Strähnen über der niedrigen Stirne.
Jeder Zug des scharf geschnittenen Gesichtes
verriet einen entschlossenen, herrschsüchtigen
Charakter, aber es schien mir, als läge in dem
Blick der wasserblauen Augen ein unsicheres
Flackern, und die früher so resoluten Bewe-
gungen der Frau waren nun langsam und müde.
Susanna sah, daßich sie beobachtete. Sie seufzte
und setzte sich mir gegenüber an den Tisch.
„Es ist manches anders geworden bei uns,
seitdem Sie zuletzt da waren“ — sagte sie. —
„Wissen Sie etwas davon?“
„Tobias schrieb mir nichts. Er lud mich nur
ein, ich möge bald einmal herauskommen.“
Ihre Blicke bohrten sich in die meinen.
„Sie wissen also wirklich nichts?“
„Gar nichts. Was ist passiert?“
„Haben Sie jemals etwas von Frank Hikopp
gehört?“ — Sie dämpfte die Stimme zu einem
leisen Flüstern und sah sich scheu um.
Ich schüttelte verneinend den Kopf. Der
Name war mir frernd.
Die graue Katze, die
neben dem Ofen lag,
stand auf, dehnte sich
gähnend, sprang mit
einem Satz auf den
Tisch und setzte sich
- zwischen uns.
„Vor drei Jahren“ —
sagte sie — hat er sich
in unserer Nähe ein
Haus gebaut. Tobias
kannte ihn schon irgend-
woher, vor Jahren
Von Hanna ^VoElbold Mit 4 Zeichnungen von AVilhelm Heiae.
DER Herbstnebel lag wie ein dicker, gelb-
grauer Rauch über der dämmerndenLand-
straße, und an den schwarzen, feuchtglänzenden
Zweigen der Chausseebäume hingen nur noch
vereinzelt ein paar braune Blätter, die der letzte
Sturm vergessen hatte, mitzunehmen.
Ich wollte Tobias Humbrugk besuchen, den
ich seit mehr als drei Jahren nicht mehr ge-
sehen hatte. Er bewohnte ein kleines Haus,
das einsam und verloren zwischen den Wiesen
lag. ^Vütendes Hundegebell kam aus der Ne-
belwand, ein schwacher Lichtschein dämmerte
durch den rasch dunkler werdenden Abend,
und ich hörte die hohe, schrille Stimme Su-
sanna Humbrugks, die den tobenden Köter zur
Ruhe verwies. Gleich darauf tauchte ein paar
Schritte von mir entfernt die plumpe, massige
Gestalt der Frau meines alten Freundes aus
dem Nebel auf.
„Tobias zu Hause?“ — fragte ich sie, als sie
mich erkannt und wir uns begrüßt hatten.
„Er kommt wohl bald zurück. Treten
Sie ein, er wird sich gewiß sehr freuen. Sie zu
sehen.“
Sie nötigte mich in die Stube und war von
einer fast unterwürfigen Freundlichkeit, die
mir an dieser Frau ungewohnt erschien. Ich
kannte Susanna als ein äußerst mürrisches und
beinahe bösartiges Weib. Tobias hatte mir
einmal in seiner schüchternen Art gesagt, daß
sie ihm das Leben eine Woche lang schwer
machte, wenn er je einen Freund bewirtete.
Nur eine dringende Einladung, die ich vor ein
paar Tagen erhalten hatte, war die Veranlassung
gewesen, daß ich heute hierher kam.
Susanna setzte Tee
auf und brachte mir ein
Abendessen, zu dem sie
mich mit einer mir
völlig neuen und unge-
wohnten Sanftheit nö-
tigte.
Der Nebel war hinter
mir her in die Stube
gedrungen, und es schien,
als kröche er durch jede
Fensterritzeherein. Um
die große Lampe, die
über dem weiß gedeckten Tische hing, lag er wie
eine Dunstwolke, er ballte sich in den Ecken
zu Schwaden und legte einen halbdurchsichtigen
Schleier um alles, was in dem Raume war.
„Rauchen Sie!“ — sagte Susanna, als ich ge-
gessen und sie das Geschirr hinausgetragen hatte.
Ich zündete eine Zigarre an, und dann goß sie
mir Tee ein. Meine Neugier war wach ge-
worden. Ich hatte die Empfindung, daß ich
einem Rätsel gegenüberstand. Sie war eine
große vierschrötige Frau mit einem auffallend
kleinen Kopf und rohen, plumpen Zügen. Das
schon leicht ergraute Haar lag wie angeklebt
in dünnen Strähnen über der niedrigen Stirne.
Jeder Zug des scharf geschnittenen Gesichtes
verriet einen entschlossenen, herrschsüchtigen
Charakter, aber es schien mir, als läge in dem
Blick der wasserblauen Augen ein unsicheres
Flackern, und die früher so resoluten Bewe-
gungen der Frau waren nun langsam und müde.
Susanna sah, daßich sie beobachtete. Sie seufzte
und setzte sich mir gegenüber an den Tisch.
„Es ist manches anders geworden bei uns,
seitdem Sie zuletzt da waren“ — sagte sie. —
„Wissen Sie etwas davon?“
„Tobias schrieb mir nichts. Er lud mich nur
ein, ich möge bald einmal herauskommen.“
Ihre Blicke bohrten sich in die meinen.
„Sie wissen also wirklich nichts?“
„Gar nichts. Was ist passiert?“
„Haben Sie jemals etwas von Frank Hikopp
gehört?“ — Sie dämpfte die Stimme zu einem
leisen Flüstern und sah sich scheu um.
Ich schüttelte verneinend den Kopf. Der
Name war mir frernd.
Die graue Katze, die
neben dem Ofen lag,
stand auf, dehnte sich
gähnend, sprang mit
einem Satz auf den
Tisch und setzte sich
- zwischen uns.
„Vor drei Jahren“ —
sagte sie — hat er sich
in unserer Nähe ein
Haus gebaut. Tobias
kannte ihn schon irgend-
woher, vor Jahren