Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
hatte vor Zorn diese Worte laut geschrien, und
nun winkte er mir zu, ich solle schweigen, und
zugleich wollte er aufstehen. Aber er schob
nur den Oberkörper etwas nach vorn, und dann
tastete er mit den Händen in die Luft, als wolle
er nach einer Stütze greifen. Sein Gesicht
wurde plötzlich aschfahl, und ich glaubte zu
bemerken, dal? ihm der Schweii? auf der Stirne
stand.
Ich schrie laut auf, denn ich glaubte nicht
anders, als dal? der alte Hallunke, Frank
Hikopp, meinen Tobias mit dem Teufelsge-
tränk, das durch die ganze Stube stank, ver-
giftet hätte. Ich wollte zu ihm eilen, um ihm
zu helfen, doch ein furchtbarer Blick des alten
Holländers bannte mich auf die Stelle, an der
ich stand, so dal? ich wie gelähmt war und vor
Angst kein Glied zu bewegen vermochte.
,Trink aus!' — sagte
Hikopp in einem Ton,
der mich erzittern liel?,
mein Gatte gehorchte
dieser Aufforderung
wie ein Automat.
Frank Hikopp rich-
tete sich in seinem Stuhl
empor, als er sprach,
aber jetzt war er plötz-
lich mit seiner Kraft zu
Ende. Er fiel wie ein
Sack in die Kissen zurück, seine Fäuste umklam-
merten die Stuhllehnen, sein graues Flaar schien
sich zu sträuben, und sein Atem ging stoßweise.
Aber er schloß die Augen nicht, obwohl er
wachsbleich wurde, sondern er starrte mit
einem festen Blick in das Gesicht meines
Mannes. Wenn ich mich jemals im Leben ge-
fürchtet habe, Herr, so war es in dieser Minute.
Die Blicke der beiden Männer krallten sich
ineinander, Tobias wurde so bleich wie der
sterbende Holländer selbst, aber er wandte die
Augen nicht von ihm weg, er war nicht fähig,
auch nur die Lider zu senken.
Und dann starben sie, starben alle beide, so
wahr ich hier stehe. Mein Mann starb zuerst.
Seine Lippen färbten sich bläulich, und aus
seinen Augen wich aller Glanz. Die Arme
hingen ihm schlaff am Körper herab, und er
neigte sich zur Seite, schwer wie ein Sack, der
umfällt. Halb lag er mit dem Oberkörper auf
der Seitenlehne des Stuhles, und sein Kopf hing


auf die Brust. Ich schrie, so laut ich konnte,
und rannte zur Tür. Mein letzter Blick, ehe
ich sie öffnete, galt noch dem Holländer, mit
dem es ebenfalls sehr rasch zu Ende ging. Auch
er war eigentlich, soviel ich sehen konnte, be-
reits tot, aber seine Augen lebten noch, die
Augen ganz allein, die mit einem furchtbaren
Blick meinen Mann umkrallten.
Mein Schrei rief die Dienerschaft herbei,
ich vernahm eilige Schritte auf der Treppe.
Mir war übel vor Grauen, ich verlor fast das
Bewußtsein, und um mich drehte sich alles im
Kreise. Aber ich überwand diesen Anfall von
Schwäche sehr schnell. Noch ehe der schwarze
Sklave des Alten die Treppe ganz heraufge-
kommen war, hatte ich mich wieder so weit
erholt, daß ich stehen konnte.
,Kommt' — rief ich — ,kommt schnell, sie
sterben, alle beide/
Und dann glaubte ich,
es müsse mich der
Schlag rühren. Denn
mein Mann, der eben
noch tot gewesen war
— ich schwöre Ihnen,
Herr, er war wirklich
gestorben — meinMann
stand aufrecht mitten
in der Stube und sah
mich an. Ich schrie ein
zweites Mal vor Entsetzen, denn, Herr, es
war Frank Hikopps Blick, mit dem mich
Tobias ansah. Sie kannten Tobias Humbrugk,
und sie wissen, was für ein Mensch er war,
sanft und schüchtern wie eine Taube. Er
zuckte bei Jeinem lauten Wort zusammen,
und er redete immer nur mit gedämpfter
Stimme, besonders, wenn er mit mir sprach.
Er hatte Respekt vor mir. Sie wissen das. Aber
in diesem Augenblick war er ein ganz anderer.
Der kleine, magere Mensch schien um einen
Kopf gewachsen zu sein und mit zwei Schritten
stand er dicht vor mir.
,Willst du wohl ruhig sein' — schrie er mir
ins Gesicht. — /Willst du ein Ende machen mit
dem Gekreische, oder, bei Gott, du kannst es
erleben . . . /
Er vollendete den Satz nicht, aber es lag ein
derart entsetzlicher Ausdruck in seinem Ge-
sicht, daß ich zurückprallte und ihm keinWort
zu erwidern wagte.

26
 
Annotationen