Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Orchideengarten : phantastische Blätter — 1.1919

DOI Heft:
Achtzehntes Heft
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.29026#0433
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext

Heinrich Kley

Ärzte sie brauchen, um ihn zu beheben; sonst
wird mein Leben vor Schmerz vergehen.“ —
Die Frau entgegnete auf seine Klagen: „In eini-
gen Tagen werden deine Schmerzen besser sein.
Fasse nur Mut! ^Vas hilft das kindische Jam-
mern!“ Doch Tag für Tag ward er kläglicher.
Als sie nun seine Augen ganz mit Blindheit
geschlagen glaubte, brachte sie ihren Buhlen
ins Haus; und sie beide lebten vor den Augen
des scheinbar Blinden der Wollust. Dieser
sagte zu seiner Frau: „Meine Augen sind nun
hin und ich bin ganz erblindet. Wenn du meine
Pflege übernehmen willst, so würdest du er-
müden, denn von Krankenpflege hast du nie-
mals etwas gelernt. Gib mir darum einen Stock
in die Hand, damit ich mir den Weg suche und
auf ihn gestützt die Füße setzen kann, wenn ich
hinausgehe, um das Wasser zu lassen.“ — Da
gab sie ihm einen tüchtigen, geraden, großen
Stock, um sich kräftig zu stützen. So stand nun
der Brahmane mit dem Knüppel in der Hand
und stellte sich blind, während jene beiden sich
erlustigten. So kam. Tag für Tag, der Buhle
ins Haus.
Einst begann er das Gadaparvakhyanam vor-
zutragen und sprach dann: „Ich werde einen
Augenblick aus dem Gadaparvakhyanam dar-
stellen; Tag für Tag mußt du nun herkommen.

Nichts anderes als den Stolz auf die Benennung
,Gadaparvan' im Herzen werde ich mit allem
Fleiße das Gadaparvakhyanam in seinen einzel-
nen Teilen vor dir zu Ende führen, dies heilige
Werk, das die Gesamtheit des höchsten Ver-
dienstes darstellt und die Gnade des göttlichen
Auges Sarvans in seinem glanzvollen Mitleid
offenbart. So muß es verstanden werden.“ —
So hörte der Buhle täglich von diesem Bes-
ten der Brahmanen das Gadaparvakhyanam.
Der durch Schmelzbutter Erblindete trug ihm
vor, und sie, seine Gattin, genoß Tag um Tag
mit dem Buhlen die Wollust des Liebesspieles
unter Tändeln und Scherzen. Der Brahmane
aber, der von Schmelzbutter Erblindete, sah
das mit seinen Augen und stand dabei, seinen
furchtbaren Knüppel in der Hand. Eines Tages
sah er wiederum zu, den Stock in der Hand.
Er trug vor: „Bhimasena aber erhob sich, und,
seine Keule schwingend, schlug er mit aller
Wucht Duryodhana nieder! — so! —.“ Mit
diesen Worten schlug er jenem, ihrem Buhlen,
mit einem schweren Schlag den Schädel ein
und zertrümmerte mit einem einzigen Schlage
auch den der unzüchtigen Frau. So rächte sich
jener durch Schmelzbutter erblindete Brah-
mane; der Buhle aber ward vom Schicksal
dahingerafft.“ “


3
 
Annotationen