GEBURT SUCHER
Von L. W. Rochowanski. Mit 3 Zeichnungen von Wilhelm Heise.
Er war noch nicht geboren worden, er war
noch'mcht gezeugt worden und lebte schon,
er war schon längst gestorben und lebte noch
immer.
Bevor ihn der Tod zurückgab, mußte er
durch viele Reiche zurückwandern.
Zuerst schwebte er durch einen weitenRaum,
in dem es runde und eckige Helle gab. So fühlte
er sie. Diese Helle war kein gewöhnliches
Ausstrahlen von Licht, sondern war reinstes
Sichauswirken von Worten. Die gesprochenen
Worte waren die stärksten und wärmsten*
viele von ihnen lagen ausgedehnt in schrägen
Schichten, man konnte sich über sie hin be-
wegen wie über Landschaften, man konnte sich
mit ihnen bedecken, sich in sie eingraben.
Manche von ihnen hatten sich zusammen-
geschlossen, zogen in farbigen Melodien wie
Flüsse durch die Landschaften der andern,
hoben sich in akkordischen Wellen atmend
auf und nieder. Die gedachten Worte waren
ein feiges Geschlecht, sie hingen an den Ge-
sprochenen wie grünes Seidenhaar mit ängst-
lichem Trieb, sie spönnen Spinnenbrücken, die
sich in die blühenden Lichter der Starken
hinabbogen oder lösten sich in federweiße
Strichwolken auf, die mit scheuem Flug ver-
zitterten, sie tasteten mit wesenlosen Röhren-
fingern nach dem Feuerge-
rüst der Überragenden,
Auch in diesem letzten
Reich, das das erste seiner
Rückwanderung war, gab
es Kampf. Brennende
Türme bauten sich oft
übereinander, fügten sich
zu gewaltigen Riesenpa-
lästen von Worten. Aus
ihren Toren und Fenstern
sprangen, im Innern ge-
zeugt, aus der Heiligkeit
ungesehener Gemächer ge-
boren, neue jun
kegel hervor, sie stürzten
auf die Plätze, auf denen
sich Gleichgestimmte in
abgebrauchtemFarbenputz
wälzten, sie tanzten wie
Flammen über sie hin, sie hingen wie brennende
Zungen aus brüllenden Fensterrahmen in die
Gossen der Gewöhnlichkeit hinab.
Während er diesen Raum zurückmaß, such-
ten die Schwachen seine Füße wie Moos zu
umwuchern, stiegen die heißen Feuermänner,
die steil emporschnellten, auf seine Schultern
hinauf. Als er sich wandte, fuhr spitze und
runde Helle an seinen Stirnenrand und setzte
sich fest. So schritt er weiter.
Der nächste Raum umfiel ihn mit zerhacktem
Chaos. Tausende Körperteile, jeder für sich
von einem andern Körper losgerissen, zogen
um ihn in tollen Kreisen wie Vögel, die ver-
lorenes Nest suchen. Aus jedem der irrenden
Körperteile rief eine Stimme oder sang ein Lied.
Füße verkrampften sich, aus ihren krallen-
artigen Gliedern fielen Schmerzlaute wie kan-
tige Steine auf ihn herab. Köpfe rollten
rauchend wie heißgelaufene Räder. Aufgeris-
sene Mäuler zogen in wilden Schwärmen
umher, kalte Schreie, zersprungene Gesänge
qualmten aus ihnen und bedeckten in dichten
Schwaden die Berge zuckender Arme und
Schenkel. Zersägte Herzen weinten verein-
samte Lieder über angefaulte Hände hin.
Schwärende Ohren hüpften wie Irrlichter um
die Tränenteiche verloschener Augen. Die
Schreie verschluckten ein-
ander, die grellen Stimmen
spien vergrabene Klagen
aus, schlugen mit blutigen
Geißeln nach Feinden, die
sie vor sich zu sehen glaub-
ten. In dem groben Getöse
versanken ungehört die
Gebete, die spärlich aus
wächsernen Hälsen tropf-
ten. Die beängstigende
Wirrnis, das flatternde
Schwirren wuchs fort-
während, denn der Raum
lag bald in stechendem
Licht, bald in düster
verhangenem, unsicherem
Dunkel. Die fliegenden
Körperteile kreuzten sich,
stießen aneinander, jagten
I o
Von L. W. Rochowanski. Mit 3 Zeichnungen von Wilhelm Heise.
Er war noch nicht geboren worden, er war
noch'mcht gezeugt worden und lebte schon,
er war schon längst gestorben und lebte noch
immer.
Bevor ihn der Tod zurückgab, mußte er
durch viele Reiche zurückwandern.
Zuerst schwebte er durch einen weitenRaum,
in dem es runde und eckige Helle gab. So fühlte
er sie. Diese Helle war kein gewöhnliches
Ausstrahlen von Licht, sondern war reinstes
Sichauswirken von Worten. Die gesprochenen
Worte waren die stärksten und wärmsten*
viele von ihnen lagen ausgedehnt in schrägen
Schichten, man konnte sich über sie hin be-
wegen wie über Landschaften, man konnte sich
mit ihnen bedecken, sich in sie eingraben.
Manche von ihnen hatten sich zusammen-
geschlossen, zogen in farbigen Melodien wie
Flüsse durch die Landschaften der andern,
hoben sich in akkordischen Wellen atmend
auf und nieder. Die gedachten Worte waren
ein feiges Geschlecht, sie hingen an den Ge-
sprochenen wie grünes Seidenhaar mit ängst-
lichem Trieb, sie spönnen Spinnenbrücken, die
sich in die blühenden Lichter der Starken
hinabbogen oder lösten sich in federweiße
Strichwolken auf, die mit scheuem Flug ver-
zitterten, sie tasteten mit wesenlosen Röhren-
fingern nach dem Feuerge-
rüst der Überragenden,
Auch in diesem letzten
Reich, das das erste seiner
Rückwanderung war, gab
es Kampf. Brennende
Türme bauten sich oft
übereinander, fügten sich
zu gewaltigen Riesenpa-
lästen von Worten. Aus
ihren Toren und Fenstern
sprangen, im Innern ge-
zeugt, aus der Heiligkeit
ungesehener Gemächer ge-
boren, neue jun
kegel hervor, sie stürzten
auf die Plätze, auf denen
sich Gleichgestimmte in
abgebrauchtemFarbenputz
wälzten, sie tanzten wie
Flammen über sie hin, sie hingen wie brennende
Zungen aus brüllenden Fensterrahmen in die
Gossen der Gewöhnlichkeit hinab.
Während er diesen Raum zurückmaß, such-
ten die Schwachen seine Füße wie Moos zu
umwuchern, stiegen die heißen Feuermänner,
die steil emporschnellten, auf seine Schultern
hinauf. Als er sich wandte, fuhr spitze und
runde Helle an seinen Stirnenrand und setzte
sich fest. So schritt er weiter.
Der nächste Raum umfiel ihn mit zerhacktem
Chaos. Tausende Körperteile, jeder für sich
von einem andern Körper losgerissen, zogen
um ihn in tollen Kreisen wie Vögel, die ver-
lorenes Nest suchen. Aus jedem der irrenden
Körperteile rief eine Stimme oder sang ein Lied.
Füße verkrampften sich, aus ihren krallen-
artigen Gliedern fielen Schmerzlaute wie kan-
tige Steine auf ihn herab. Köpfe rollten
rauchend wie heißgelaufene Räder. Aufgeris-
sene Mäuler zogen in wilden Schwärmen
umher, kalte Schreie, zersprungene Gesänge
qualmten aus ihnen und bedeckten in dichten
Schwaden die Berge zuckender Arme und
Schenkel. Zersägte Herzen weinten verein-
samte Lieder über angefaulte Hände hin.
Schwärende Ohren hüpften wie Irrlichter um
die Tränenteiche verloschener Augen. Die
Schreie verschluckten ein-
ander, die grellen Stimmen
spien vergrabene Klagen
aus, schlugen mit blutigen
Geißeln nach Feinden, die
sie vor sich zu sehen glaub-
ten. In dem groben Getöse
versanken ungehört die
Gebete, die spärlich aus
wächsernen Hälsen tropf-
ten. Die beängstigende
Wirrnis, das flatternde
Schwirren wuchs fort-
während, denn der Raum
lag bald in stechendem
Licht, bald in düster
verhangenem, unsicherem
Dunkel. Die fliegenden
Körperteile kreuzten sich,
stießen aneinander, jagten
I o