Der Orchideengarten
Phantasti
Herausgeber Karl Hans Strobl
Zweiter Jahrgang
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he Blätter
Schriftleiter Alf von Czibulka
Erstes Heft
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AHR
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Von V iktor Dyk. Au« dem Tschechische® übertragen von Otto Pick. (Mit swei Zeichnungen von Max Schenke)
N der dritten Reihe vom Hauptweg in
der Abteilung V hatte Nummer 16 ihren
Tag. Mit Blumen, Kränzen, Bändern be-
deckt, brüstete sie sich unter den andern.
Die andern Nummern blickten nei-
disch auf sie. An und für sich sah
Nummer 16 schon nach etwas aus;
da war weder Vernachlässigung
noch Armut. Das Denkmal allein
war eine aparte Arbeit, das Werk eines be-
rühmten Künstlers. Es erregte Aufmerksam-
keit; alles blieb davor stehen beim Fest der
Toten. Man brauchte etwas Repräsentatives,
pflegte man da zu sagen. Und es stand dafür.
Schon erweckte es Eifersucht. Außerdem
gefiel Nummer 16 den Nachbarn nicht. Sie
war zu überspannt, zu vornehm. Nicht, daß sie
nicht höflich gewesen wäre, aber ihre Höflich-
keit hatte etwas Demütigendes. „Auf was ist
sie so stolz?“ wisperten die Nummern einander
zu. „Eine historische Persönlichkeit, historische
Persönlichkeit! Als ob s deren hier nicht genug
gäbe.“
Die Tage waren nicht gleich. Es gab Zeiten,
wo sich niemand zwischen die Nummern ver-
irrte. Das waren ver-
drießliche Zeiten: Man
mußte sich die Zeit ver-
kürzen, wies eben ging.
Und da verdarb Num-
mer 16, dieser Finsterling,
die Unterhaltung.
Sonst waren doch wenig-
stens manchmal die Wege
belebt; hie und da wählte sich ein nach Stille ver-
langender Spaziergänger diese Promenade aus.
„Zu wem geht er?“ fragten die Nummern neu-
gierig. Eifersucht begann sich zu melden. Aber
der in Gedanken Versunkene ging zu nie-
mandem. Gleichgültig ging er an den Gräbern
vorbei; sämtliche Nummern waren enttäuscht.
Nummer 17 erwartete einen Geliebten, der
nicht kam. Manchmal an Frühlingsabenden be-
gann diese geschwätzige Nummer zu erzählen
und führte dann verrückte Reden. Aber nie-
mand glaubte dieser Kleinen ganz, sie war zu
lyrisch, und das ziemt sich schließlich für
Nummern nicht. Am schlimmsten war es, wenn
ein Liebespaar durch den Friedhof irrte. Junge
Herzen fühlen eine Sehnsucht, selbst die Gräber
zu beleben, hat ein Dichter gesagt. Nur, daß
Nummer 17 die Dinge anders betrachtete. Sie
war nervös und zornig; sie vertrug fremde
Liebe nicht, die ihr kläglich und roh erschien.
Übrigens der übliche Eindruck fremder
Liebe. Nummer 15 erwartete den Subaltern-
beamten, damit er über die Abteilung referiere.
Es war ein verknöcherter Bureaukrat, ein
einsamer Mürrischer. Er war hier am schlimm-
sten daran; er hatte sich
niemals um die Natur noch
um die Menschen geküm-
mert. Und die Referate
kamen nicht. Nummer 15
wurde verlegen. „Was tun,
wenn es hier keine Referate
gibt?“ Am besten war
ihr Nachbar, Nummer 14,
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Herausgeber Karl Hans Strobl
Zweiter Jahrgang
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Schriftleiter Alf von Czibulka
Erstes Heft
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Von V iktor Dyk. Au« dem Tschechische® übertragen von Otto Pick. (Mit swei Zeichnungen von Max Schenke)
N der dritten Reihe vom Hauptweg in
der Abteilung V hatte Nummer 16 ihren
Tag. Mit Blumen, Kränzen, Bändern be-
deckt, brüstete sie sich unter den andern.
Die andern Nummern blickten nei-
disch auf sie. An und für sich sah
Nummer 16 schon nach etwas aus;
da war weder Vernachlässigung
noch Armut. Das Denkmal allein
war eine aparte Arbeit, das Werk eines be-
rühmten Künstlers. Es erregte Aufmerksam-
keit; alles blieb davor stehen beim Fest der
Toten. Man brauchte etwas Repräsentatives,
pflegte man da zu sagen. Und es stand dafür.
Schon erweckte es Eifersucht. Außerdem
gefiel Nummer 16 den Nachbarn nicht. Sie
war zu überspannt, zu vornehm. Nicht, daß sie
nicht höflich gewesen wäre, aber ihre Höflich-
keit hatte etwas Demütigendes. „Auf was ist
sie so stolz?“ wisperten die Nummern einander
zu. „Eine historische Persönlichkeit, historische
Persönlichkeit! Als ob s deren hier nicht genug
gäbe.“
Die Tage waren nicht gleich. Es gab Zeiten,
wo sich niemand zwischen die Nummern ver-
irrte. Das waren ver-
drießliche Zeiten: Man
mußte sich die Zeit ver-
kürzen, wies eben ging.
Und da verdarb Num-
mer 16, dieser Finsterling,
die Unterhaltung.
Sonst waren doch wenig-
stens manchmal die Wege
belebt; hie und da wählte sich ein nach Stille ver-
langender Spaziergänger diese Promenade aus.
„Zu wem geht er?“ fragten die Nummern neu-
gierig. Eifersucht begann sich zu melden. Aber
der in Gedanken Versunkene ging zu nie-
mandem. Gleichgültig ging er an den Gräbern
vorbei; sämtliche Nummern waren enttäuscht.
Nummer 17 erwartete einen Geliebten, der
nicht kam. Manchmal an Frühlingsabenden be-
gann diese geschwätzige Nummer zu erzählen
und führte dann verrückte Reden. Aber nie-
mand glaubte dieser Kleinen ganz, sie war zu
lyrisch, und das ziemt sich schließlich für
Nummern nicht. Am schlimmsten war es, wenn
ein Liebespaar durch den Friedhof irrte. Junge
Herzen fühlen eine Sehnsucht, selbst die Gräber
zu beleben, hat ein Dichter gesagt. Nur, daß
Nummer 17 die Dinge anders betrachtete. Sie
war nervös und zornig; sie vertrug fremde
Liebe nicht, die ihr kläglich und roh erschien.
Übrigens der übliche Eindruck fremder
Liebe. Nummer 15 erwartete den Subaltern-
beamten, damit er über die Abteilung referiere.
Es war ein verknöcherter Bureaukrat, ein
einsamer Mürrischer. Er war hier am schlimm-
sten daran; er hatte sich
niemals um die Natur noch
um die Menschen geküm-
mert. Und die Referate
kamen nicht. Nummer 15
wurde verlegen. „Was tun,
wenn es hier keine Referate
gibt?“ Am besten war
ihr Nachbar, Nummer 14,
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