sozusagen ein unsichtbarer Feind, gesellschaft-
lich, angenehm, liebenswürdig. Nummer 16
hatte trotzdem triumphiert; er hatte sich aber
nicht seines Sieges erfreut. Und nun kommt
der Rivale, dem Toten die Ehre zu bezeigen.
Schade um die so jäh vernichteten Fähig-
keiten — Nummer 16 bemerkt seine Ironie.
Er wendet sich ab. Es ist gut, es ist gut. Der
Klub hat sich auch erinnert: Die Mitglieder
haben sich recht zahlreich eingefunden, eine
ansehnliche - Palme
wurde
Man redet von der
angesehenen Stelle,
die er eingenommen,
von der Lücke, die
nicht ausgefüllt ist,
von dem unersetzten
und unersetzbaren
Verluste. Von einem
uneigennütziger Ar-
beit geopferten Le-
ben . . . Nummer 16
erkennt seine Genos-
sen wieder. Da ist
der Hypochonder,
ständig zu sterben
bereit. Zum Teufel,
warum stirbt er
nicht, da mit ihm
so wenig stürbe ?
Hier der Hohlkopf
mit seinen Anek-
doten; wird er sie nicht hier am Grabe aus-
streuen? Da der Stern des Klubs, von dem
man achselzuckend zu sagen pflegte: „Er ge-
hört nicht unter uns, aber wenn er schon
unter uns ist“ .... Er hat an Achtung ge-
wonnen; er beginnt eine führende Rolle zu
spielen, der Biedermann. Jeder kommt an die
Reihe.
Gut, es ist gut, wiederholt Nummer 16.
So vergeht der Tag. Die Besuche lösen ein-
ander ab. Die Nummer ist schon müde, nur
der Neid der Nachbarn macht sie elastisch.
Zuletzt nähert sich ein armes Pärchen. Er, eine
gleichsam in Demut gebeugte Gestalt, abge-
tragener Anzug, gelbes, ungesundes Gesicht.
Es ist ein kleiner Beamter, ein Vogel beschränk-
ten Fluges. Sie lebhaft, geschwätzig, vulgär,
ihr Horizont ist Klatsch und Küche.
Die Beiden bleiben vor dem Denkmal stehen
und lesen von ungefähr den Namen. Der
schweigsame Mann lebt auf; er kommt sich
plötzlich wichtig vor.
„Sieh nur, Marie“, sagt er. „Es ist mein alter
Kamerad. Wir haben zusammen studiert. Er
hat Karriere gemacht . . . .“ Und in seinem
müden, abgearbeiteten, geduckten Seelchen
flattert eine Erinnerung empor. Er sieht seine
Jugend, sieht die kleine Bezirksstadt, dieKirche
im Grünen, wohin er
am Sonntag ging,
sieht die mit rätsel-
haften Ornamenten
verzierten Schul-
bänke, hört Lachen
und Scherzen, Mäd-
chengesichter gleiten
vorbei, abenteuer-
liche Träume wer-
den geträumt. Dann
der begrenzte Flug
mit gestutzten
Schwingen; das Da-
hinleben im Amt,
ohne Hoffnung auf
Beförderung, das
Hausen mit einer
groben und dummen
Frau. Nichts erfüllt,
f nichts erreicht. Und
er sieht den Verstor-
■ benen, sein junges,
frisches Gesicht, sein feuriges Auge-Und
er setzt nachdenklich hinzu:
„Das ist ein lustiger, guter Junge gewesen.
Nummer 16 verdüstert sich. Erinnerungen
sind ihm unlieb. Und was werden sich die
anderen Nummern denken? Man mul? das
Dekorum wahren. Ein lustiger, guter Junge,
das schickt sich nicht für ihn. Und wozu auch
sich erinnern?
Glücklicherweise entfernt sich der Genosse
seiner Jugend — der Vogel mit den gestutzten
Schwingen.
Er entfernt sich ganz ergriffen und erregt
durch die unerwartete Begegnung; unterwegs
dreht er sich noch einmal um. Nummer 16
glaubt ihn noch aus der Ferne reden zu hören.
Er spricht von vergangenen Tagen, verrückten
Begebenheiten, von den kleinen Dingen der
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lich, angenehm, liebenswürdig. Nummer 16
hatte trotzdem triumphiert; er hatte sich aber
nicht seines Sieges erfreut. Und nun kommt
der Rivale, dem Toten die Ehre zu bezeigen.
Schade um die so jäh vernichteten Fähig-
keiten — Nummer 16 bemerkt seine Ironie.
Er wendet sich ab. Es ist gut, es ist gut. Der
Klub hat sich auch erinnert: Die Mitglieder
haben sich recht zahlreich eingefunden, eine
ansehnliche - Palme
wurde
Man redet von der
angesehenen Stelle,
die er eingenommen,
von der Lücke, die
nicht ausgefüllt ist,
von dem unersetzten
und unersetzbaren
Verluste. Von einem
uneigennütziger Ar-
beit geopferten Le-
ben . . . Nummer 16
erkennt seine Genos-
sen wieder. Da ist
der Hypochonder,
ständig zu sterben
bereit. Zum Teufel,
warum stirbt er
nicht, da mit ihm
so wenig stürbe ?
Hier der Hohlkopf
mit seinen Anek-
doten; wird er sie nicht hier am Grabe aus-
streuen? Da der Stern des Klubs, von dem
man achselzuckend zu sagen pflegte: „Er ge-
hört nicht unter uns, aber wenn er schon
unter uns ist“ .... Er hat an Achtung ge-
wonnen; er beginnt eine führende Rolle zu
spielen, der Biedermann. Jeder kommt an die
Reihe.
Gut, es ist gut, wiederholt Nummer 16.
So vergeht der Tag. Die Besuche lösen ein-
ander ab. Die Nummer ist schon müde, nur
der Neid der Nachbarn macht sie elastisch.
Zuletzt nähert sich ein armes Pärchen. Er, eine
gleichsam in Demut gebeugte Gestalt, abge-
tragener Anzug, gelbes, ungesundes Gesicht.
Es ist ein kleiner Beamter, ein Vogel beschränk-
ten Fluges. Sie lebhaft, geschwätzig, vulgär,
ihr Horizont ist Klatsch und Küche.
Die Beiden bleiben vor dem Denkmal stehen
und lesen von ungefähr den Namen. Der
schweigsame Mann lebt auf; er kommt sich
plötzlich wichtig vor.
„Sieh nur, Marie“, sagt er. „Es ist mein alter
Kamerad. Wir haben zusammen studiert. Er
hat Karriere gemacht . . . .“ Und in seinem
müden, abgearbeiteten, geduckten Seelchen
flattert eine Erinnerung empor. Er sieht seine
Jugend, sieht die kleine Bezirksstadt, dieKirche
im Grünen, wohin er
am Sonntag ging,
sieht die mit rätsel-
haften Ornamenten
verzierten Schul-
bänke, hört Lachen
und Scherzen, Mäd-
chengesichter gleiten
vorbei, abenteuer-
liche Träume wer-
den geträumt. Dann
der begrenzte Flug
mit gestutzten
Schwingen; das Da-
hinleben im Amt,
ohne Hoffnung auf
Beförderung, das
Hausen mit einer
groben und dummen
Frau. Nichts erfüllt,
f nichts erreicht. Und
er sieht den Verstor-
■ benen, sein junges,
frisches Gesicht, sein feuriges Auge-Und
er setzt nachdenklich hinzu:
„Das ist ein lustiger, guter Junge gewesen.
Nummer 16 verdüstert sich. Erinnerungen
sind ihm unlieb. Und was werden sich die
anderen Nummern denken? Man mul? das
Dekorum wahren. Ein lustiger, guter Junge,
das schickt sich nicht für ihn. Und wozu auch
sich erinnern?
Glücklicherweise entfernt sich der Genosse
seiner Jugend — der Vogel mit den gestutzten
Schwingen.
Er entfernt sich ganz ergriffen und erregt
durch die unerwartete Begegnung; unterwegs
dreht er sich noch einmal um. Nummer 16
glaubt ihn noch aus der Ferne reden zu hören.
Er spricht von vergangenen Tagen, verrückten
Begebenheiten, von den kleinen Dingen der
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