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Marmorurne im Speisezimmer auf dem Kamin-
sims. Sie beherrschte den Raum und mußte
jedermanns Aufmerksamkeit auf sich lenken.
So konnte man von ihr sprechen wie von
einem lebenden Großvater, sie war jederzeit
gebrauchsfertig und sogar praktischer.

Arnold schielte mißtrauisch das Ding an.
Die Bearbeitung war ihm ja egal, aber, ob im
ganzen Stück oder in Bröselform, dergleichen
gehörte nun einmal auf den Friedhof. Unruhig,
wie der liebe alte Herr war, der die Ruhe-
und anderen Bedürfnisse eines jungen Ehe-
paares so wenig respektierte, hätte er draußen in
passender Gesellschaft weniger gestört als hier.

Als das Ehepaar nach dem wehmütig-gemüt-
lichen Trauer-
nachtmahl, das
eine Art Ent-
hüllungsfeier dar-
stellte, den Lüster
abdrehte, flim-
merte die Urne
in fahlviolettem
Schein. „Das ist
der Mond“, sagte
Arnold, als ihn

Käte wortlos
beim Arm packte.

Der Aufbruch ins
Schlafzimmer wurde ohne übertriebene Hast
vorgenommen; denn wenn man einmal zu
laufen anfing, war es mit der Beherrschung
vorbei. Nur versperrte Arnold diesmal gegen
seine sonstige Gewohnheit die Tür ins Speise-
zimmer, wovon Käte taktvoll keine Notiz
nahm. Man ging, wie bei Lebzeiten des alten
Herrn auf Störungen gefaßt, ohne Stimmung zu
Bett. Es schlug viertelzwölf. „Zu dumm ,
sagte er, als sie sich auf die andere Seite drehte.
Halbzwölf. „Wir dürfen abends nicht mehr
soviel essen“, erwiderte sie mit forcierter Sach-
lichkeit, als er sich herumwälzte. „Ich glaube,
es ist der Wein“, schmetterte der Mann um
drei viertel.

Die zwölf Schläge ließen sie mit angehal-
tenem Atem verklingen. Natürlich bleibt alles
ruhig, dachte Arnold. Selbstverständlich. Dies-
mal wird der alte Herr nicht herumgeistern.
Alles ganz ruhig ... nur . .. nur ein ganz leises
Geräusch . . . Donnerwetter, wie klang das?
Ein gedämpftes Scheppern, so wie... wie wenn

man eine mit Bröseln halbgefüllte Blechdose
schüttelt. Eigentlich ein ganz banales Geräusch,
aber um Mitternacht hört es sich nicht be-
haglich an.

„Wir haben die Dose mit dem Kristall-
zucker stehen gelassen“, erklärte Arnold seiner
Frau. „In der Nacht sind manchmal leise Er-
schütterungen wahrzunehmen, die man im
Lärm des Tages nicht beachtet. Aber für alle
Fälle könnte man doch Licht machen.“ Er be-
sorgte dies mit künstlicher Gelassenheit. „Dies-
mal wird dennoch nicht das Grammophon
spielen“. Aber während er es sagte, hörte er
schon, gedämpft wie aus einer andern Weit, aber
in unverkennbar blechernem Klang: „Pupp-

chen, du bist mein
Augenstern . . .
Es ist eine un-
bekümmert fröh-
liche Melodie,
aber sie wirkt zu
gewissen Zeiten
nicht erheiternd.
Diesmal war es
Arnold, der Käte
am Arm packte.

„Hörst du das
.Puppchen?'“ flü-
sterte er.

„Ich höre nichts“, stöhnte sie zähneklap-
pernd, . . . „ja, doch . . . wenn du so fragst, muß
ich es hören. Ich weiß aber genau, daß die
Platte ,Der liebe Augustin' aufgelegt war.“

Arnold hätte, wenn er allein gewesen wäre,
nichts zur Einstellung der sordinierten Gram-
mophonproduktion unternommen. Aber vor
der Frau ist man doch zu etwas Entschlossen-
heit verpflichtet. Er hüllte sich in den Schlaf-
rock und tat, als ob ihn das keine Überwindung
koste, sperrte die Tür auf und schaltete sofort
den sechzehnflammigen Lüster ein. In der
Lichtflut sah das Speisezimmer ganz harmlos
aus und das Grammophon stand still und be-
scheiden in der Ecke. Er nahm die „Püppchen“-
Platte an sich und kehrte ins Schlafzimmer zu-
rück. Den Lüster ließ er brennen. Es blieb ruhig,
aber die Nacht war verloren.

Am nächsten Abend legte Arnold ein Lied
von Gustav Mahler auf, das der alte Herr
nicht leiden konnte, und verbarrikadierte sich
nach dieser Bosheit mit seiner Frau im Schlaf-

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