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wohnten in der Nähe von Wien; es waren
arme Handwerker, die mich zu einem Schnei-
der in der Stadt in die Lehre taten. Mein Tauf-
name war Ahraham Anton, und ich wurde
von meinem Meister und den Gesellen ge-
wöhnlicherweise nur Tonerl genannt.

Die Stadt Wien ist eine große Stadt und liegt
ander Donau; das hab'ich dazumal mit meinen
eigenen Augen gesehen und kann es daher auch
um so dreister behaupten. Man nannte sie auch
zu meiner Zeit die Residenz; auch soll sie die
Hauptstadt von ganz Österreich sein. Will
manchmal, wo's paßt, Statistik und dergleichen
einfließen lassen. Ist um Politik und alle
Kenntnis gut Ding.

Ich fühlte bald, daß ich zu großem Dingen
bestimmt sein müßte, denn ich merkte keinen
sonderlichen Trieb zur Arbeit in mir.

* *

*

Sah nun klärlich ein, daß man sich in dieser
Welt auf nichts völlig verlassen und vertrauen
könne, wenn man nicht sein bestimmtes Aus-
kommen habe. Nahm mir daher vor, mein
Glück zu suchen und mich emporzuhringen;
aber nicht auf die gewöhnliche ^Veise, wie
bisher geschehen, sondern lieber gleich zu
trachten, König oder Kaiser zu werden, damit
ich mein Stückchen Brot in Ruhe und Frieden
verzehren könne. „Ist es doch so manchem
gelungen,“ sagte ich zu mir selber, „warum soll
es denn gerade mir fehlschlagen? Wenn man
alle Könige und Kaiser zusammenzählt, die
seit Erschaffung der Welt regiert haben, so
kommt eine hübsche Summe heraus; warum
soll ich denn nicht einer von diesen vielen wer-
den können? Und Kreaturen haben sich
darunter befunden wie der hochselige Nebu-
kadnezar, der sich nicht enthlödete, auf vier
Füßen zu gehen; wie Nero, der die Christen
verfolgte; wie Caligula, der sein Pferd zum
ersten Bürgermeister machte; nicht des Saul
zu gedenken, der David umbringen wollte, oder

des, Salomo, der sich ein paar tausend Weiber
hielt. Keine dieser Bosheiten habe ich bis-
her ausgeübt, sondern im Gegenteil einen
stillen und vernünftigen Lebenswandel geführt.
Das bißchen Durch-die-Luft-Fliegen als Maus
abgerechnet, als mich der erschreckliche Vogel
nach dem Reiche Persien brachte. Warum
soll ich nun verzweifeln?“

Tröstete mich mit diesen und dergleichen
Gedanken, hatte aber unterdessen nichts anders
zu verzehren. Tat mir sehr leid und wünschte
von Herzen, die Zwischenzeit bis zu meiner
künftigen Größe möchte erst überstanden sein.
Aber da half kein Wünschen. Ging von Ort
zu Ort und trieb wieder das alte Bettlerhand-
werk, das mir in der ersten Zeit nach dem
Grafenstande, recht sauer ankam.

Irrte weiter umher und kam in eine sehr
wüste Gegend. Traf auch keinen Menschen,
außer nach etlichen Tagen auf zwei Personen,
die sich für Leineweber ausgaben und mir
sagten, daß sie umherwanderten, ihr Glück in
der Welt zu suchen. Freute mich ungemein,
daß es noch mehr solche Leute gebe, als ich
selber einer war, und indem ich genauer hin-
sah, waren es zwei von denen, die mich ehe-
mals in V/ien wegen meines fast zu beißenden
Witzes hatten ausprügeln wollen. Wir er-
zählten uns unsere Geschichten, und als ich
die meinige vortrug, hielten mich die Gesellen
für einen wackeren Aufschneider; denn es
war ihnen so etwas Unglaubliches noch nie
begegnet.

So ist der Mensch. Was er nicht selber er-
fahren hat, scheint ihm unmöglich.

Wir wanderten eine geraume Zeit mitein-
ander. Eines Tages wurde es Abend und es
fing an, sehr finster zu werden. Wir erkun-
digten uns nach einem Wirtshause und man
beschrieb uns die Gegend. Als wir ankamen,
sagte uns der Wirt, daß er uns unmöglich auf-
nehmen könne, weil alle seine Stuben schon
 
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