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Endlich sahen wir ein hohes und steiles Ge-
birge vor uns liegen, darauf setzte sich der Esel
mit mir nieder und stand still. Hielt solches
für eine feine Art, mir seine Meinung zu ver-
stehen zu geben, und stieg augenblicklich ab.

Als ich abgestiegen war, unterließ nicht, mich
nach allen Seiten wohl umzuschauen, weil gern
wissen wollte, wohin ich geraten sei. Sah aber
nichts als steile Berge um mich her. Ich fragte,
wo wir wären, bedankte mich hei dem gut-
willigen Esel, und wollte schon in der Stille
meine Perle herausnehmen, um ihn in Gold zu
verwandeln und nachher zu verkaufen, als er,
der gewiß meine Absicht merkte, sich plötzlich
in ein herrliches Pferd verwandelte.

Ich erstaunte und merkte nun wohl, daß ich
einen Geist vor mir habe; erwies ihm auch
von diesem Augenblick alle nur mögliche Ehre,
die man unter solchen Umständen einem Ge-
spenste schuldig ist. Behielt immer meinen Hut
unterm Arm, ließ es auch an Schauder und
Angst nicht gebrechen, denn ich dachte, das
Pferd könne mich am Ende noch gar mitten in
dem wüsten Gebirge auffressen. Das Pferd
war aber seinerseits auch sehr höflich und
hatte, ob es gleich seinen Stand verändert hatte,
immer noch die bezaubernden Manieren des
Esels an sich, so daß unter gegenseitigem Kom-
plimentieren eine gute halbe Stunde verstrich.
Das Pferd machte so viele Kratzfüße, daß die
Funken nur immer aus dem Felsen sprangen.

V/ar endlich so dreist, zu fragen: warum es
nicht lieber gleich ein Pferd gewesen wäre,
sondern sich erst in einen Esel verwandelt hätte,
hätte auf die Art nur doppelte Mühe gehabt;
worauf das Pferd mit einem liebenswürdigen
Wiehern, das auf seine Art ein Lachen vor-
stellen sollte, antwortete: „Halte endlich dein
Maul Tonerle, oder Tunelli, und sei froh, daß
du mit heiler Haut aus den Händen der Ge-
spenster gekommen bist. Geh deiner Straße.
Dort unten liegt eine große Stadt, da wirst du

dein sicheres und beständiges Glück machen.“ —
„Wo?“ fragte ich.

Das Pferd stellte sich auf die Hinterbeine
und sagte verdrießlich: „Da vor dir, du Ochsen-
kopf!“ indem es das vordere Bein mit dem Hufe
gerade vor sich hinstreckte. Ich sah noch ein-
mal hin und bemerkte nun auch eine gewaltig
große Stadt vor mir liegen. Konnte nicht be-
greifen, daß ich sie nicht gleich gesehen.

Das Pferd stand noch aufgerichtet vor mir.
ich hielt es für meine Schuldigkeit, nahm den
Vorderfuß in meine Hand, drückte ihn ein
wenig zärtlich in meinen Fingern und versiegelte
dann meine Dankbarkeit mit einem auf dem Huf
gut angebrachten Kuß. Das Pferd machte eine
zierliche Verbeugung und verschwand.

Ich fing nun an, mit Gemächlichkeit vom
Gebirge herunterzusteigen.wohei ich zu meinem
großen Leidwesen Hunger verspürte. Um mich
zu zerstreuen, verwandelte ich sogleich einen
großen Stein in Gold, dann wieder in Stein,
steckte mir alle Taschen voll Holz und Steine,
die ich zu Gold machte, um in der Stadt so-
gleich davon zehren zu können. Nun ward mir
das Gehen sehr beschwerlich, von wegen der
großen Last. Sah bei der Gelegenheit ein, daß
zuweilen mit Dummheit behaftet, weil ja die
Perle besitze, warf daher alles wieder von mir
und machte es wieder zu Stein und Holz.

„Nun hoffe doch endlich, den Hafen des
Glücks zu finden,“ sagte ich zu mir selber, da der
Hunger immer mehr überhand nahm; „hange ich
doch nun von niemand ab, brauche mich nicht
zu verwandeln, um meinen Lebensunterhalt
zu genießen, habe auch durch des Himmels Hilfe
weiter keine Gemeinschaft mit dem Teufel, der
das Bannen und Zitieren und Schätzebringen
doch auch einmal hätte überdrüssig werden
können. Oh, wohl dem Manne, der alles sich
selber, seiner eignen Kraft und seinen Talenten
zu verdanken hat!“

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