DIE DREI RINGE
Von Margot Isbert. (Mit zwei Zeichnungen von Otto Linnekogel.)
gerade zehn Jahre vergangen’’waren,
jLJL. seit man die Königin in ihren kostbaren
Sarkophag gelegt hatte, geschah es eines Nachts,
dal? der Pharao aus dem Schlaf erwachte und
sie in ihren Grabtüchern auf dem weißen Grund
der Marmorwand seines Gemaches stehen sah.
Sie"stand da und lächelte 'ihm zu, warm und
voll Innigkeit, wie im Leben. Er hatte sie so
sehr geliebt; in all den vielen Jahren seit ihrem
Tode war ihr Bild in seiner Seele geblieben
als das Köstlichste seines Lebens. „Sei will-
kommen!' sagte er und richtete sich auf. Sie
aber winkte ihm mit den Augen, still liegen zu
bleiben und sprach zu ihm: „Mich ruft meiner
Töchter Verhängnis, für die nur eins sich voll-
enden kann: Irdisches oder Ewiges. Höre, was
ich dir sage! Laß dreimal einen güldenen Reif
fertigen: zierlich soll er sein, schmal und leicht
für die Hände meiner jungen Töchter. Und in
das Innere des Reifes sei ein Spruch geschrieben.
Für die Alteste, die sie die Schönste nennen,
sollen die Worte sein, die auf der rechten
Seite meines Sarkophages stehen. Für die
Zweite, deren Name die Klügste ist, sei die
Schrift auf der linken Seite. Für Merris, die
Jüngste, habe ich bestimmt, was zu Füßen ge-
schrieben steht. Sage ihnen: Dies sendet euch
eure Mutter. Es trage eine jede von euch den
Ring, und wenn die Stunde gekommen ist, gebe
sie ihn dem Mann, dem sie selbst sich geben
will. Wrohl wisse sie, daß dies die Stunde ihrer
Wahl ist: Ganz gibt sie sich mit dem Ring;
einem Ziel muß sie sich opfern. Wählt sie
das Glück, so geht der Ring verloren. Wählt
sie die Liehe, so bleibt der Ring. Das werden
die Zeichen der Erfüllung sein.“
So sprach die Königin, und ihre Stimme ver-
hallte an den Wanden des Schlafgemaches.
Und ihr weißes Bild schwand wieder vor dem
Blick des Pharao.
Am nächsten Tag schon ließ der Herrscher
seine Bildner und Künstler kommen und befahl
ihnen, aus reinem Golde drei Ringe zu formen:
Zierlich und schmal für die Hände der jungen
Prinzessinnen. Und der Pharao brachte im T em-
pel Opfer drei Tage lang. Am dritten Tage aber
gab er ein großes Fest im Palast, zu dem waren
geladen alle Großen seines Hofes und alle Feld-
herren seines Heeres, die Priester des Ammon
und Re und die Baumeister, die den großen
Tempel errichtet hatten. Der Pharao seihst
aber saßunter seinem hohen Thronhimmel, den
ebenholzschwarze Negersklaven hielten. Um
seinen Kopf war die goldene Kaiserschlange
gewunden, und in der Hand hielt er das Zepter,
den gebogenen Stab der Pharaonen.
Und als alle versammelt waren, erschienen
die jungen Prinzessinnen mit ihrem Gefolge.
Sie kamen daher in ihren Gewändern aus kost-
baren Stoffen, weißer als die weißen Wrolken
des Himmels. Sie gingen schweigend durch die
Reihen der Männer. Sehr ernsthaft die beiden
Ältesten, ohne auch nur ein einziges Mal auf-
zuschauen, ohne Leben und Bewegung in ihren
Von Margot Isbert. (Mit zwei Zeichnungen von Otto Linnekogel.)
gerade zehn Jahre vergangen’’waren,
jLJL. seit man die Königin in ihren kostbaren
Sarkophag gelegt hatte, geschah es eines Nachts,
dal? der Pharao aus dem Schlaf erwachte und
sie in ihren Grabtüchern auf dem weißen Grund
der Marmorwand seines Gemaches stehen sah.
Sie"stand da und lächelte 'ihm zu, warm und
voll Innigkeit, wie im Leben. Er hatte sie so
sehr geliebt; in all den vielen Jahren seit ihrem
Tode war ihr Bild in seiner Seele geblieben
als das Köstlichste seines Lebens. „Sei will-
kommen!' sagte er und richtete sich auf. Sie
aber winkte ihm mit den Augen, still liegen zu
bleiben und sprach zu ihm: „Mich ruft meiner
Töchter Verhängnis, für die nur eins sich voll-
enden kann: Irdisches oder Ewiges. Höre, was
ich dir sage! Laß dreimal einen güldenen Reif
fertigen: zierlich soll er sein, schmal und leicht
für die Hände meiner jungen Töchter. Und in
das Innere des Reifes sei ein Spruch geschrieben.
Für die Alteste, die sie die Schönste nennen,
sollen die Worte sein, die auf der rechten
Seite meines Sarkophages stehen. Für die
Zweite, deren Name die Klügste ist, sei die
Schrift auf der linken Seite. Für Merris, die
Jüngste, habe ich bestimmt, was zu Füßen ge-
schrieben steht. Sage ihnen: Dies sendet euch
eure Mutter. Es trage eine jede von euch den
Ring, und wenn die Stunde gekommen ist, gebe
sie ihn dem Mann, dem sie selbst sich geben
will. Wrohl wisse sie, daß dies die Stunde ihrer
Wahl ist: Ganz gibt sie sich mit dem Ring;
einem Ziel muß sie sich opfern. Wählt sie
das Glück, so geht der Ring verloren. Wählt
sie die Liehe, so bleibt der Ring. Das werden
die Zeichen der Erfüllung sein.“
So sprach die Königin, und ihre Stimme ver-
hallte an den Wanden des Schlafgemaches.
Und ihr weißes Bild schwand wieder vor dem
Blick des Pharao.
Am nächsten Tag schon ließ der Herrscher
seine Bildner und Künstler kommen und befahl
ihnen, aus reinem Golde drei Ringe zu formen:
Zierlich und schmal für die Hände der jungen
Prinzessinnen. Und der Pharao brachte im T em-
pel Opfer drei Tage lang. Am dritten Tage aber
gab er ein großes Fest im Palast, zu dem waren
geladen alle Großen seines Hofes und alle Feld-
herren seines Heeres, die Priester des Ammon
und Re und die Baumeister, die den großen
Tempel errichtet hatten. Der Pharao seihst
aber saßunter seinem hohen Thronhimmel, den
ebenholzschwarze Negersklaven hielten. Um
seinen Kopf war die goldene Kaiserschlange
gewunden, und in der Hand hielt er das Zepter,
den gebogenen Stab der Pharaonen.
Und als alle versammelt waren, erschienen
die jungen Prinzessinnen mit ihrem Gefolge.
Sie kamen daher in ihren Gewändern aus kost-
baren Stoffen, weißer als die weißen Wrolken
des Himmels. Sie gingen schweigend durch die
Reihen der Männer. Sehr ernsthaft die beiden
Ältesten, ohne auch nur ein einziges Mal auf-
zuschauen, ohne Leben und Bewegung in ihren