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hinüber, wo Frau Fink, am Herd kauernd, ins
Feuer blies. „leb muß Ihnen nur sagen, Frau
Fink, einer meiner Freunde . • . einer meiner
Freunde bat seinen zwei hungernden Kindern
die Hälse durchgeschnitten. Was sagen Sie?
Was Ihre Tochter Petra anbetrifft, Frau Fink,
die sitzt drüben in meiner Kammer am Fenster
und rührt sich nicht . . . Was sagen Sie? —"

Der Vetter Konstantin kam übrigens niemals.
Entfernte Verwandte berichteten später ein-
mal der vereinsamten Frau Fink, sie hätten
läuten gehört, er sei auf der Heimfahrt ver-
unglückt. Um mit dem übervollen Zug mitzu-
kommen, habe er das Wagendach erklettert
und sei dann mit eingeranntem Schädel unter
irgendeiner Brücke gefunden worden.

WUNDERLICHES UND ABSONDERLICHES

Im Jahre 1611 wurde in Aix ein Priester
namens Louis Gaufridi nach vorhergegangener
Folter zur Verbrennung „bei gehendem Atem"
d. h. bei lebendigem Leibe, verurteilt, weil er
einige Nonnen des dortigen Ursulinerinnen-
klosters behext und mit ihnen auf magischem
Weg Unzucht getrieben haben sollte. Die
Nonnen Magdalena de la Palude und Louise
Capeau verfielen plötzlich in ekstatische Zu-
stände, drehten sich im Kreise, bis sie nieder-
fielen und ließen sich von ihren Genossinnen
treten und mißhandeln, ohne nach ihrer Ver-
sicherung dabei Schmerz zu empfinden. Wie
sie behaupteten, lag die Ursache ihrer Besessen-
heit darin, daß der Priester Gaufridi mit ihnen
Liebeszauber treibe. Er nahm, wie er in seinem
Prozeß unter der V/irkung der Folter einge-
stand, Frauen und Mädchen die Freiheit da-
durch, daß er ihnen in die Nasenlöcher hauchte,
wie denn überhaupt bei allem Liebeszauber das
Anhauchen des Weibes eine große Rolle spielt.
Es soll der Betreffenden jede Möglichkeit neh-
men, dem Verführer zu widerstehen. Gaufridi
wirkte dann durch Gedankenkonzentration und
Übertragung seiner sinnlichen Vorstellungen
vor allem auf die Nonne Madeleine de la Palude,
die sich selbst anklagte, sie hätte unter derWir-
kung der von ihm ausgehenden Kräfte ihre Un-

schuld verloren und habe sich sexuellen Aus-
schweifungen der extravagantesten Art ergeben.
Die Berichte, die sie davon gibt, sind im höch-
sten Grade merkwürdig durch das maßlose,
wunderliche und oft geradezu ungeheuerliche
der erotischen Phantasie, die sich darin aus-
spricht. Es scheint, daß die Einwirkung tder
beiden auf so sonderbare V/eise Liebenden eine
gegenseitige war, daß ihre erotischen Gedanken
sich gewissermaßen überkreuzten und daß der
Priester und die Nonne eines in dem Bann des
anderen standen. Gaufridi gestand seinen Rich-
tern, er habe sich dem Teufel mit Leib und
Seele verschrieben und durch seinen Pakt das
Resultat erzielt, daß er alle Phasen des Hexen-
sabbats erlebte und alle Orgien, die eine aus-
schweifende Phantasie ersinnen mochte, ge-
feiert. Gaufridi war in sittlicher Beziehung
schon vorher übel beleumdet und galt als
Lebemann. Seine zahlreichen Liebesabenteuer
hatten ihn in einen schlimmen Ruf gebracht.
Wenn man dem, was in der Verhandlung ent-
hüllt wurde, Glauben zumessen darf, so scheint
es tatsächlich, daß er gewisse Kräfte zur Ver-
fügung hatte, die ihm ermöglichten, erotische
Erlebnisse bei sich selbst und bei der von ihm
beeinflußten Nonnelnur durch die Konzentra-
tion seines Willens herbeizuführen. "W.
 
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