DAS TREIBHAUS
WUNDERLICHES UND ABSONDERLICHES
B eispiel einer merkwürdigen Divi-
nations kraft. Horst erzählt: Folgendes hab
ich meinen verewigten Vater öfters erzählenhö-
ren: Auf einer ihrer Missionsreisen im Callen-
bergischen Institute zu Halle zur Bekehrung der
Juden sey der Magister Wiedemann mit den an-
deren Reisenden, der, wie mein s el. Vater ein
ordinirter Candidatwar, zufälligerweise bis in
Mähren gekommen, wo beide für verdächtige,
oder gefährliche Leute seyen gehalten und ein-
gethürmt worden. (Es war dies gerade in den
dreißiger Jahren, wo bei den damaligen reli-
giösen Bewegungen viele sogenannte Mährische
Brüder aus Mähren nach Hernnhuth auswan-
derten, was vielleicht Verdacht auch gegen die
Art Missionäre erregt, und Veranlassung zu
ihrer Gefangennehmung kann gegeben haben.)
Der jüngere Reisende, dessen Namen mir ent-
fallen ist, sey als ein junger Mann darüber
ungemein bestürzt gewesen, Wiedemann aber,
in dessen Thun und Lassen Alles prophetisch-
symbolisch war, habe ihm, ich weiß nicht, ob
gesagt, oder befohlen, — denn er stand bei den
jüngeren Reisenden in unglaublichem Ansehen!
— er solle sofort mit einem Stück Kreide,
welches er ihm zu dem Ende überreichte, so
viele Striche an die Kerkerthüre machen, bis
er ihm sagen würde, es sey genug. Hierauf habe
er zu dem jungen Mann gesagt, von diesen
Strichen solle er alle Tage Einen aus wischen,
und am X age, da er den letzten auswischen
würde, würden sie wieder in Freiheit gesetzt
werden. — Als der letzte Strich ausgewischt
worden war, war noch kein Anschein zu ihrer
Loslassung da. Sie erfolgte aber wirklich noch an
demselben Tage. Der Preußische Minister war
von der Sache unterrichtet worden, hatte sich
der Verhafteten eifrigst angenommen, ihre
Unschuld bewiesen und ihre ehrenvolle Los-
lassung bewirkt.
Diese Begebenheit hatte mein sei. Vater aus
dem Munde des zweiten oder dritten Reisenden,
der sie selbst erlebt und ihm erzählet hat. Ein
solches Vermögen (wie diese wunderbarliche
Divinationskraft), welches einzelne Individuen
in sich zu haben versichern, oder, daß sie es
wirklich haben, in der Erscheinungswelt be-
weisen, ist ebensogut eine Thatsache, als jede
andere Erscheinung, die man einem unverdäch-
tigen Zeugen, der solche als ihm widerfahren
erzählt, glauben muß.
★
EinTeufels-Gespenst aus demMit-
telalter. Aus Lores Helinandi in Vincentii
Bellovacensis Speculum histor. — Duaci, 1624.
Ein solches Teufels-Pferd oder Teufels-Ge-
spenst war auch jenes, so ein Köhler einstmals
einem Nivernensischen Grafen gezeigt hat.
Dieser Köhler war ein Mann, arm vor der
V/elt, aber reich vor Gott, fromm und gottes-
fürchtig. Derowegen ging auch der Graf gern
mit ihm um. Einstmals als dieser Köhler in
1B
WUNDERLICHES UND ABSONDERLICHES
B eispiel einer merkwürdigen Divi-
nations kraft. Horst erzählt: Folgendes hab
ich meinen verewigten Vater öfters erzählenhö-
ren: Auf einer ihrer Missionsreisen im Callen-
bergischen Institute zu Halle zur Bekehrung der
Juden sey der Magister Wiedemann mit den an-
deren Reisenden, der, wie mein s el. Vater ein
ordinirter Candidatwar, zufälligerweise bis in
Mähren gekommen, wo beide für verdächtige,
oder gefährliche Leute seyen gehalten und ein-
gethürmt worden. (Es war dies gerade in den
dreißiger Jahren, wo bei den damaligen reli-
giösen Bewegungen viele sogenannte Mährische
Brüder aus Mähren nach Hernnhuth auswan-
derten, was vielleicht Verdacht auch gegen die
Art Missionäre erregt, und Veranlassung zu
ihrer Gefangennehmung kann gegeben haben.)
Der jüngere Reisende, dessen Namen mir ent-
fallen ist, sey als ein junger Mann darüber
ungemein bestürzt gewesen, Wiedemann aber,
in dessen Thun und Lassen Alles prophetisch-
symbolisch war, habe ihm, ich weiß nicht, ob
gesagt, oder befohlen, — denn er stand bei den
jüngeren Reisenden in unglaublichem Ansehen!
— er solle sofort mit einem Stück Kreide,
welches er ihm zu dem Ende überreichte, so
viele Striche an die Kerkerthüre machen, bis
er ihm sagen würde, es sey genug. Hierauf habe
er zu dem jungen Mann gesagt, von diesen
Strichen solle er alle Tage Einen aus wischen,
und am X age, da er den letzten auswischen
würde, würden sie wieder in Freiheit gesetzt
werden. — Als der letzte Strich ausgewischt
worden war, war noch kein Anschein zu ihrer
Loslassung da. Sie erfolgte aber wirklich noch an
demselben Tage. Der Preußische Minister war
von der Sache unterrichtet worden, hatte sich
der Verhafteten eifrigst angenommen, ihre
Unschuld bewiesen und ihre ehrenvolle Los-
lassung bewirkt.
Diese Begebenheit hatte mein sei. Vater aus
dem Munde des zweiten oder dritten Reisenden,
der sie selbst erlebt und ihm erzählet hat. Ein
solches Vermögen (wie diese wunderbarliche
Divinationskraft), welches einzelne Individuen
in sich zu haben versichern, oder, daß sie es
wirklich haben, in der Erscheinungswelt be-
weisen, ist ebensogut eine Thatsache, als jede
andere Erscheinung, die man einem unverdäch-
tigen Zeugen, der solche als ihm widerfahren
erzählt, glauben muß.
★
EinTeufels-Gespenst aus demMit-
telalter. Aus Lores Helinandi in Vincentii
Bellovacensis Speculum histor. — Duaci, 1624.
Ein solches Teufels-Pferd oder Teufels-Ge-
spenst war auch jenes, so ein Köhler einstmals
einem Nivernensischen Grafen gezeigt hat.
Dieser Köhler war ein Mann, arm vor der
V/elt, aber reich vor Gott, fromm und gottes-
fürchtig. Derowegen ging auch der Graf gern
mit ihm um. Einstmals als dieser Köhler in
1B