Der Orchideengarten
Phantastische Blätter
Herausgeber Karl Hans Strobl
Zweiter Jahrgang
Schriftleiter Alf von Czibulka
Neuntes Heft
DER RASENDE LEICHNAM
Von Walter Heinrich. (Mit 3 Zeichnungen von Josef F. Hüter)
PIETOR Meckschero hatte den Abend bei
seinen Freunden verbracht und verlief? in
spater Nacht Erehos Wohnung. Er ging zu
Ful? in die Vorstadt hinaus, bog links in die
Schluchten schwarzer Seitengassen und wandte
sich dem Viertel zu, das hinter dem Bahnhof
voller Güterschuppen, Speditions- und Lager-
häuser, Gleisanlagen und Eisenbahnbrücken
schlief.
Pietor sah die großen, runden Sonnen laut-
loser Bogenlampen hinzurollen, sich ent-
gegenschweben den fernen Gleisanlagen.
Beim Näherkommen erkannte er das blitzende
Silbernetz zischender Gleise. Scharf zuckten
sie durch das nächtige Schwarz. Dumpf bock-
ten lange Ungeheuer in den glitzernden Netzen:
lauernde Riesenschlangen finstererWagenzüge.
Gähnend stürzten sich darüber, zierlich ba-
lancierend, stählerne Brücken. Pietor stürmte
auf die dritte zu. Sie schlol? an die Violette-
stral?e an, die ihn direkt nach seinem Hause
führte.
Er schlug seinen Kragen auf. Tückischer
Wind stiel? über die Gleise. Fern schrie eine
Lokomotive, summte leise rhythmisches Rä-
dergedröhn nahenden Eilzugs.
Da begannen in der mächtigen Wölbung die
goldenen Bogenlampen wilden Tanz, kreiselten
in lohenden Spiralen, spien tolle Fontänen in
das Unabsehbare. Die Gleisnetze schmolzen
zu breiter Silberfläche schimmernden Sees.
Phantastische Nacht mit tausend Feuerwerk
erbrach sich vor Pietors Augen. Hastig klirrte
der Eilzug näher.
Pietor erreichte die Brücke und warf sich
erschrocken an das Geländer. Er fühlte, dal?
unbezähmbare Ströme sich auftaten und schrei-
end nach Befreiung drängten. Schwindelnd
beugte er sich über Bord und schleuderte Er-
leichterung in die Tiefe der blitzenden Fläche.
Strauchelte einige Schritte, fest an das Gelän-
der gekrallt.
Brücken, Häuser, Gleise, Züge, Lampen
sprangen rapiden Tanz. Deutlich fühlte Pietor,
dal? etwas aufstand in ihm, das Tage in ihm
gelauert hatte. Er hatte die Stunde mit Angst
erwartet. Er spürte ein krampfhaftes Schlagen
am Halse. Er griff nach dem Genick: in dem
Augenblick schol? fader Geschmack auf die
Zunge. Pietor griff zum Mund, tastete klebrige
Masse. Dick sickerte Blut. Geller Schrei zer-
schnitt jäh die helle Kuppel. Dumpf zitterte
das Geländer unter dem zuckenden Leib,
Schauriger Weltunter gang mit brennenden Ko-
meten, Sonnen, pfeilenden Sternen brach her-
ein — — — — — — — — — — — — —.
Schräg ringelte sich Pietor am Geländer auf.
Da stürzte der Eilzug donnernd durch die
Brücke, dal? leise das stählerne Gerüst zitterte.
Dumpf schlug eine Masse auf eines Wagens
Dach und wurde mitgerissen nach dem lauern-
den Horizont.
In der Station Segestan fand ein Bremser auf
dem Dach des dritten Wagens einen Toten. Er
rannte zum Zugführer. Der war ein Mann
mit grüner Hundeschnauze und stachligem
Schnurrbart. Er grunzte: „Verflucht! und
packte den Bremser am Rockkragen.
I
Phantastische Blätter
Herausgeber Karl Hans Strobl
Zweiter Jahrgang
Schriftleiter Alf von Czibulka
Neuntes Heft
DER RASENDE LEICHNAM
Von Walter Heinrich. (Mit 3 Zeichnungen von Josef F. Hüter)
PIETOR Meckschero hatte den Abend bei
seinen Freunden verbracht und verlief? in
spater Nacht Erehos Wohnung. Er ging zu
Ful? in die Vorstadt hinaus, bog links in die
Schluchten schwarzer Seitengassen und wandte
sich dem Viertel zu, das hinter dem Bahnhof
voller Güterschuppen, Speditions- und Lager-
häuser, Gleisanlagen und Eisenbahnbrücken
schlief.
Pietor sah die großen, runden Sonnen laut-
loser Bogenlampen hinzurollen, sich ent-
gegenschweben den fernen Gleisanlagen.
Beim Näherkommen erkannte er das blitzende
Silbernetz zischender Gleise. Scharf zuckten
sie durch das nächtige Schwarz. Dumpf bock-
ten lange Ungeheuer in den glitzernden Netzen:
lauernde Riesenschlangen finstererWagenzüge.
Gähnend stürzten sich darüber, zierlich ba-
lancierend, stählerne Brücken. Pietor stürmte
auf die dritte zu. Sie schlol? an die Violette-
stral?e an, die ihn direkt nach seinem Hause
führte.
Er schlug seinen Kragen auf. Tückischer
Wind stiel? über die Gleise. Fern schrie eine
Lokomotive, summte leise rhythmisches Rä-
dergedröhn nahenden Eilzugs.
Da begannen in der mächtigen Wölbung die
goldenen Bogenlampen wilden Tanz, kreiselten
in lohenden Spiralen, spien tolle Fontänen in
das Unabsehbare. Die Gleisnetze schmolzen
zu breiter Silberfläche schimmernden Sees.
Phantastische Nacht mit tausend Feuerwerk
erbrach sich vor Pietors Augen. Hastig klirrte
der Eilzug näher.
Pietor erreichte die Brücke und warf sich
erschrocken an das Geländer. Er fühlte, dal?
unbezähmbare Ströme sich auftaten und schrei-
end nach Befreiung drängten. Schwindelnd
beugte er sich über Bord und schleuderte Er-
leichterung in die Tiefe der blitzenden Fläche.
Strauchelte einige Schritte, fest an das Gelän-
der gekrallt.
Brücken, Häuser, Gleise, Züge, Lampen
sprangen rapiden Tanz. Deutlich fühlte Pietor,
dal? etwas aufstand in ihm, das Tage in ihm
gelauert hatte. Er hatte die Stunde mit Angst
erwartet. Er spürte ein krampfhaftes Schlagen
am Halse. Er griff nach dem Genick: in dem
Augenblick schol? fader Geschmack auf die
Zunge. Pietor griff zum Mund, tastete klebrige
Masse. Dick sickerte Blut. Geller Schrei zer-
schnitt jäh die helle Kuppel. Dumpf zitterte
das Geländer unter dem zuckenden Leib,
Schauriger Weltunter gang mit brennenden Ko-
meten, Sonnen, pfeilenden Sternen brach her-
ein — — — — — — — — — — — — —.
Schräg ringelte sich Pietor am Geländer auf.
Da stürzte der Eilzug donnernd durch die
Brücke, dal? leise das stählerne Gerüst zitterte.
Dumpf schlug eine Masse auf eines Wagens
Dach und wurde mitgerissen nach dem lauern-
den Horizont.
In der Station Segestan fand ein Bremser auf
dem Dach des dritten Wagens einen Toten. Er
rannte zum Zugführer. Der war ein Mann
mit grüner Hundeschnauze und stachligem
Schnurrbart. Er grunzte: „Verflucht! und
packte den Bremser am Rockkragen.
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