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VINZENZ VOLKERS HÄNDE

Von Ernst Penzoldt (Mit 2 Zeichnungen von E. H eigenmooser)

Wie täglich seit drei Wachen, ging der
junge Bildhauer Johannes von seinem
Atelier geradewegs zu dem starren, un-
freundlichen Mietshaus,in dem Vinzenz Volker
wohnte (25 M. monatlich, Klavier extra). Jo-
hannes schritt hastig durch das wegen seines
abgestandenen Geruches ihm unsympathische
Treppenhaus zur Wohnung der Witwe Hild
im 2. Stock. Hier mußte er eine Minute warten
undbekämpfte die Vorstellung von rotem Plüsch
und Familienalbum, die sich ihm beim Lesen
des Namensschildes: Ella Hild, Kaufmanns-
witwe aufzudrängen drohte. Die Witwe öff-
nete ihm wie stets mit einem porzellanenen
Lächeln, strich sich mit einer verwirrten Be-
wegung das nüchterne, melierte Haar aus der
Stirn über den immer etwas erschrockenen
Augen, und der Eintritt zu Vinzenz Volker
war überwunden. Obgleich es auch in dessen
Zimmer nochsetwas „so roch“, atmete Johannes
doch frei auf. — Wieder saß Vinzenz am Kla-
vier (dessen Güte ihn bewog, hier zu wohnen),
etwas vorgebeugt, die feinen, schmalen Hände
leicht an die Tasten fühlend. Er hatte eben
nicht gespielt, sondern das Stück durchgelesen,
und wandte seine Augen noch versonnen zu
dem Eintretenden. Dann lächelte er erkennend,
knabenhaft, bezaubernd liebenswürdig. Jo-
hannes warf seinen Hut aufs Bett und versank
dann in das hochlehnige alte Kanapee. Es war
mit feinem schwarzen Seidenstoff überzogen.
Die Seitenlehnen waren vorn mit flacher
Schnitzerei geschmückt. Schwäne mit hoch-
gestelltem Flügel, der diejiohe Lehne markierte,
und zurückgeboge-
nem Hals rahmten
die dunkle Tiefe
dieses alten Möbels
ein. Die übrige Ein-
richtung war von
gutsituierter Ge-
schmacklosigkeit.

NachkurzemPlau-
dernbegannen Vin-
zenz Hände zu
spielen. Johannes
stützte den Kopf

auf die Arme und wandte kein Auge von
dem Spiel der Hände. Die gaben ihm die
Musik. Nicht der lackierte Kasten, nicht Mo-
zart, nicht der lange Freund mit lauschendem
Kopf. Nur die schmalen, feingeformten Hände.
Johannes überwachte sie genau wie sie erst in
Volkers Schoß ruhten, dann zögernd empor zu
den blanken Tasten krochen, dort einen Augen-
blick still lagen, wie sprungbereit. An der
rechten Hand leuchtete ein goldner Reif mit
einem runden flachen Stein. Der glänzte kalt
und tiefgrün. Er gab der Hand den Schein eines
eigenen Wesens. Er war das Auge der Hand.
Und die Hände begannen ihren Tanz. Wie
Windhunde, hell, schlank, feingliedrig rasten
sie den elfenbeinernen Tanzboden entlang,
schwebten empor, sanken, schmiegten sich,
wandten sich, züngelten, ruhten, stampften und
tänzelten in rhythmischem Wechsel. Johannes
sal? gebannt. Nur das Meer oder fallende
Schneeflocken konnten ihn so fesseln. Er ward
sich der Klänge längst nicht mehr bewul?t. In-
brünstig beteten seine Augen das Spiel der
Hände an. Sie leuchteten in irrem Glanz unter
den fast gefalteten Lidern.

Es ward Abend. Bleich hing Johannes’
Antlitz wie eine Maske im Dunkel der
schwarzen Seide. Geisterhaft glitten Vinzenz’
Hände,katzenhaft geschmeidig über die Tasten.
Mit siegender Wucht schnellten sie noch ein-
mal auf; schlugen ein Nichts zu Boden, und
lagen still. Müde krochen die schlanken, nun
etwas bleichen Hände in Vinzenz' Schol?zurück.
Es schien, als atmeten ihre feinen Leiber.

, J etzt ist’s genug“
sagte Vinzenz und
stand auf. Er
streckte lächelnd
Johannes die Rech-
te hin, die dieser
fast scheu ergriff
Ein nackter Dank.
Er war schon an
der Türe. Da sann
er, wie er es an-
stellen könnte, noch
einmal Vinzenz'

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