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Mit Kettenrasseln und Gebrumm
Geben des nacbts die Geister um.

(Aus einem alten Bilderbuch.)

bald sie einmal hinter mir liegen, alle verworren
und unwahr scheinen werden, wie irgendein
wunderlicher Traum zwischen Schlafen und
Wachen. So nun, während sie lebendig sind,
werde ich sie niederschreiben, und wär’s auch
nur, um den Gedanken eine andere Richtung
zu geben, nach den endlosen Zahlenreihen.

Es ist ein alter silbergerahmter Spiegel in
meinem Zimmer. Er wurde mir von einem
Freunde geschenkt, der Geschmack an Anti-
quitäten hatte und ihn, wie ich zufällig weil?,
bei einer Versteigerung aufstöberte, ohne zu
wissen, woher er stamme. Es ist ein grol?es
Ding — drei Ful? breit und zwei hoch — und
lehnt am Aufsatz eines "Wandtisches zu meiner
Linken, wenn ich schreibe. Der Rahmen ist
flach, hei drei Zoll breit und sehr alt, weitaus
zu alt, um Firmazeichen oder andere Anhalts-
punkte der Altersbestimmung aufzuweisen.
Der Glasteil ragt mit schiefem Randschliff vor
und hat jene wunderbare spiegelnde Kraft, die,
wie mir scheint, nur an sehr alten Spiegeln zu
finden ist. Wer hineinsieht, fühlt die Per-
spektive so deutlich, wie das bei einem Glase
von heute gar nicht möglich wäre.

Der Spiegel ist so angebracht, dal? er mir,
wenn ich an meinem Tische sitze, nichts als
nur den V/iderschein der roten Fenstervor-

hänge zeigt. In der gestrigen Nacht aber trug
sich ein sonderbares Ding zu. Ich hatte bereits
einige Stunden gearbeitet, sehr gegen meine
Stimmung und unter fortgesetzten Belästigungen
durch jenen Nebelschleier, über den ich geklagt
hatte. Immer wieder war ich genötigt, die
Arbeit zu unterbrechen und meine Augen rein-
zuwischen. Bei einer von diesen Gelegenheiten
traf es sich nun, dal? ich auf den Spiegel blickte.
Er hatte das wunderlichste Aussehen. Der rote
Vorhang, der darin hätte abgespiegelt sein
sollen, war nicht mehr dort, hingegen schien
das Glas bewölkt und umdampft zu sein, nicht
an der Oberfläche jedoch, die wie Stahl glänzte,
sondern tief innen. Fal?te ich diesen Dunstfleck
scharf ins Auge, so war es, als kreise er träge
da- und dorthin, bis er sich zu einer dicken
weil?en Wolke ballte, deren schwere Schwaden
die Bewegung beibehielten. So wirklich und
greifbar war dies, und ich so klar bei Ver-
nunft, dal? ich mich — ich entsinne mich dessen
genau — umwandte, mit der Befürchtung, die
Vorhänge stünden in Flammen. Aber alles war
totenstill im Zimmer, kein Laut aul?er dem
Ticken der Wanduhr, keine Bewegung aul?er
demlangsamen Kreisen von dieser fremdartigen,
wolligen Wolke tief im Herzen des alten
Spiegels.

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