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Der Orchideengarten

Phantastische Blätter

Herausgeber Karl Hans Strobl /y\ Schriftleiter Alf von Czibulka

Zweiter Jahrgang <t?\ Dreizehntes Heft

DIE HEIMKEHR

Von Gustav Renker. (Mit zwei Zeichnungen von Karl Ritter.)

ch weil? nicht, was in mir
ist, das zum Schreiben
zwingt, zum Schreiben
von Dingen, die nicht Tat-
sache sein können, die mir
nüchternem Mediziner
wilde, fieberhafte Phan-
tastik scheinen. Ich habe
in meinem Leben nichts anderes geschrieben
als trockene Briefe und Karten, als meine
Studienschriften und hie und da Berichte
für Fachzeitschriften. Und heute habe ich
die Feder in der Hand und schreibe, schreibe,
wie mein Bruder schrieb, dem das Wort Aus-
druck für alles Erleben war, der vielleicht ein
Dichter geworden wäre, wenn er länger gelebt
hätte. Ich schreibe etwas, das ich nicht glaube,
das mir widernatürlich erscheint und das sich
mir doch mit zwingender Gewalt auf drängt.—
Es hat sich nichts geändert seit dem Tode meines
Bruders Friedrich. Ich arbeite an meinen letz-
ten Rigorosen, sitze bis tief in die Nacht über
meinen Büchern, und es ist sehr still um mich,
so still wie stets, wenn ich studierte. Und
doch ist seit einigen Tagen ein Neues, ein Un-
erklärliches um mich, das mich in seine Stim-
mung zwingt, das ich mir nicht erklären kann,
und das stärker ist als mein ruhiger, klarer
Verstand. Ich fürchte mich nicht davor und
habe doch stets ein geheimes, leises Grauen,
weil mir mein Instinkt sagt, dal? dieses Un-
bekannte nicht von meiner Welt ist. Es ist, als
ob noch jemand in meinem Zimmer wäre, je-
mand, den ich nicht sehe, aber fühle. Als wäre

irgendwo, hinter den Möbeln, den Gardinen
jemand verborgen. Seltsam ist das — ich weil?
doch, dal? niemand im Zimmer ist aul?er mir
und Lord. Aber Lord, der stets zu meinen
Fül?en liegt, hebt zeitweise den Kopf, winselt
leise, heult dann in langen, angstvollen Tönen
und dann wieder, dann wedelt er mit dem
Schwänze, als ob er jemanden Lieben begrüßen
wollte. Wenn der Hund reden könnte, viel-
leichtwürde sich da manches von dem erklären,
was jetzt wie eine stumme Frage um mich ist.
Und noch etwas anderes, gleichfalls Selt-
sames: Im anderen Zimmer steht das Klavier
meines Bruders, geschlossen seit dessen Tod.
Hier und da aber, wenn ich ganz still hin, klingt
aus dem Instrument einTon auf, ein ganz leiser,
feiner Ton. Nicht als ob eine Taste nieder-
geschlagen würde, sondern als ob eine Hand
kosend über die Saiten streiche. Ich bin nun
schon daran gewöhnt und glaube, versuche zu
glauben, daß dieser Ton von der Witterung,
vom Temperatur Wechsel kommt. — Das ist
alles, was ich zu dem zu sagen habe, das ich
jetzt, nicht aus eigenem Willen und Können,
sondern unter einem unerklärlichen Zwange
niederschreiben werde. Sonst ist in unserem
Hause alles gleichgeblieben. Die Mutter still
und verhärmt, die Schwägerin, meines toten
Bruders Frau, fast unwirklich in ihrer Zart-
heit und ihrem Leide. Die Arbeit geht hin.
Tag für Tag, und wir hoffen von ihr die Hei-
lung. Also ist unser Haus beschaffen — wie
alle Häuser, aus denen ein Liebes genommen
wurde.

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