J. R. Schellenberg
Der Equilibrist (Aus Freund Heins Erscheinungen in Holbeins Manier, 1758)
werden sie tun, wenn ich Gestorbener diesen
Platz besetzt halte? Und wieder geschah etwas
Unerklärliches: Als sich die Mutter neben
Gritli niedersetzen wollte, auf den Stuhl, auf
dem ich sal?, wehrte meine Frau sanft ab:
„Lai? den Platz unbesetzt. Da ist er immer
gewesen.“ — Die Erkenntnis, dal? meine Sehn-
sucht nach Wirklichkeit, nach Anerkennung
meines Seins zum Willen ward, sich den an-
deren unwiderstehlich aufzwang, erfüllte mich
mit einer dankbaren, überströmenden Glück-
seligkeit. Denn ich sah daraus, dal? mein Sein,
wenn auch unkörperlich, doch noch Geltung
hatte, dal? sie von mir Notiz nehmen mußten.
gezwungen durch eine rätselvolle Macht, !die
aus mir kam und die ich selbst nicht gekannt
hatte.
Die Tage gingen nun hin in einem eigen-
tümlichen Zusammenleben, von dem nur ich
wußte, die anderen aber eine unausgesprochene,
gestaltlose Ahnung in sich trugen. Nur ein
Band der Wirklichkeit war zwischen uns:
Die Musik. Sie, die ich so geliebt hatte, glühte
auch in dem Toten weiter. Die Musik der Le-
bendigen in einem, der nicht mehr war! Und
sooft ich spiele, in alte Zeiten versunken am
Klavier sitze, geht ein Erstaunen, ein Schrek-
ken durch die Menschen meiner Umgebung.
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Der Equilibrist (Aus Freund Heins Erscheinungen in Holbeins Manier, 1758)
werden sie tun, wenn ich Gestorbener diesen
Platz besetzt halte? Und wieder geschah etwas
Unerklärliches: Als sich die Mutter neben
Gritli niedersetzen wollte, auf den Stuhl, auf
dem ich sal?, wehrte meine Frau sanft ab:
„Lai? den Platz unbesetzt. Da ist er immer
gewesen.“ — Die Erkenntnis, dal? meine Sehn-
sucht nach Wirklichkeit, nach Anerkennung
meines Seins zum Willen ward, sich den an-
deren unwiderstehlich aufzwang, erfüllte mich
mit einer dankbaren, überströmenden Glück-
seligkeit. Denn ich sah daraus, dal? mein Sein,
wenn auch unkörperlich, doch noch Geltung
hatte, dal? sie von mir Notiz nehmen mußten.
gezwungen durch eine rätselvolle Macht, !die
aus mir kam und die ich selbst nicht gekannt
hatte.
Die Tage gingen nun hin in einem eigen-
tümlichen Zusammenleben, von dem nur ich
wußte, die anderen aber eine unausgesprochene,
gestaltlose Ahnung in sich trugen. Nur ein
Band der Wirklichkeit war zwischen uns:
Die Musik. Sie, die ich so geliebt hatte, glühte
auch in dem Toten weiter. Die Musik der Le-
bendigen in einem, der nicht mehr war! Und
sooft ich spiele, in alte Zeiten versunken am
Klavier sitze, geht ein Erstaunen, ein Schrek-
ken durch die Menschen meiner Umgebung.
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