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wie Morgensonnenstrahl!, las ich einmal in
einem Gedicht. Oh, diese Perlen sind echt!“
sagte sie überzeugt.

,Ja, diese Perlen sind echt!“ erwiderte er
schwer. „Von diesen Perlen ging nie ein falscher
Schein aus. Rein wie Morgensonnenstrahl!
Lange habe ich auf ihren Glanz vergessen.
Aber nun leuchten sie mir wieder!“ jauchzte
er wie einer, der finstere Nacht durchschritten
hat und nun die Sonne sieht. Und er langte
wieder nach den Perlen. Sie achtete nicht auf
ihn, sie hatte nur Blicke für den Schimmer der
zartfarbigen Kette.

„Du mußt erst sehen, wie sie mir paßt!“ rief
sie und warf ihm einen neckischen Blick voll
unsicherer Zärtlichkeit zu. Und als er, müde,
ihr nicht wehrte, zog sie ihn mit übertriebener
Leidenschaft an sich und preßte seinen Kopf an
ihre runde, nackte Brust. Ihre Lippen suchten
seine, das schwere, schwüle Parfüm ihres
bronzefarbigen Leibes umgab ihn. Ihr schwarzes
offenes Haar hüllte ihn mit beklemmendem
Duft ein, nahm ihm den Atem. Er empfand
einen Augenblick wohltuender, halb bewußt-
loser Rast.

Als er die Augen aufschlug, hatte sie die
Kette angelegt.

„Nein! Laß!“ rief er. „Du sollst diese Kette
nicht anlegen!“

Sie hörte nicht auf ihn.

„Gib die Perlen, sie sollen ihren reinen Schim-
mer nicht verlieren! Die Perlen!“ brüllte er,
„die Perlen! Ich schulde sie einer Toten!“

Sie lachte zornig auf. „Du hast sie mir ver-
sprochen, du hast sie mir gebracht. Sie gehören
mir!“

Schützend legte sie die Hände vor die Kehle,
ein wilder Kampf entspann sich. Sie schrie vor
Schmerz auf und biß ihn in die Wange, schlug
mit den geballten Fäusten in sein Gesicht. Aber
er war stärker. Sie bäumte sich auf, wollte
schreien, aber unter dem schnürenden Griff
seiner dünnen Finger bewegten sich ihre Lippen
lautlos. Blut trat vor ihre Zähne.

„Die Perlen!“ stöhnte er, „die Perlen!“

In brüllender Wut preßte er ihre Kehle zu-
sammen. Als er losließ, starrten ihn zwei glasige
Augen an. Wachsweiß lag sie auf der grünen
Decke . . .

Die Perlenschnur war gerissen, die zarten,
silbrigen Kugeln sprangen unter seinen Händen
hervor. Sie rollten vom Hals der Toten über
das Bett und zerstreuten sich knisternd auf
dem Boden . . .

DIE ARME SEELE

Von Ernst Kar] Juhl (Mit drei Zeichnungen von Karl Ritter)

ie war gestorben, die
arme Seele. Lange
hatte sie sich mit
ganzer Kraft in dem
jämmerlich ent-
stelltenKörp er fest-
geklammert, hatte
ihn nicht lassen
wollen und sich
angstvoll immer
von neuem an eins der zerfallenden Organe
gehängt. Aber eine unwiderstehliche Kraft
hatte sie bald vorwärtsgestoßen, bald nach
sich gezogen, bis sie endlich an dem morschen
Gewebe ihres Fleisches den letzten Halt ver-
lor und sich plötzlich mit qualvollem Ruck
in die Außenwelt gepreßt fühlte. — Doch da

mit ihrem Körper zugleichalle Schmerzen von
ihr abgefallen waren, rieselte im nächsten
Augenblick eine wohltuende Ruhe über ihr
ganzes Wesen. Sie ergab sich diesem unge-
wohnten Zustand, mußte sich ihm völlig hin-
geben und wußte sich doch kaum in ihm zu-
rechtzufinden.

Ohne länger in Kopf, Arme, Leib und Beine
gegliedert zu sein, besaß sie irgendeine Gestalt,
hatte trotzdem weder feste Grenze noch Ober-
fläche, um den Körpern V/iderstand entgegen-
zusetzen, und zerfiel nicht länger in ein Außen
und Innen. Sie war leicht geworden, unend-
lich leicht, und entlastet von aller ermüdenden
Schwere. Aber es war beängstigend, die alt-
bekannten Dinge des Sterbezimmers nicht mit
körperlichen Augen zu sehen, sondern mit dem

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