Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
DAS TREIBHAUS

WUNDERLICHES UND ABSONDERLICHES

Nach langen Jahren traf ich wieder einmal
meinen alten Freund und einstigen Haupt-
veranstalter unserer spiritistischen Sitzungen,
den Bühneninspektor R. Wir erinnerten uns
der alten Begebenheiten und unseres Tastens an
den verschlossenen Pforten des Übersinnlichen.
Ob ich wisse, dal? er sich von seiner damaligen
Frau getrennt habe und mit einer anderen Frau
zusammen lebe, fragte er im Verlaufe unserer
W^anderung durch die alten Straßen. Ich war
eigentlich nicht gerade erstaunt, denn schon
damals war mir die Ehe brüchig erschienen.
Seine Frau war das Medium unseres kleinen
Kreises gewesen. Und es war, als hätte sie ihre
medialen Kräfte entdeckt, entwickelt und viel-
leichtnichtimmer ganz einwandfrei unterstützt,
um durch die geheimnisvollen Abgründe ihres
Wesens den von spiritistischen Problemen
gänzlich erfüllten Gatten neuerlich an sich zu
fesseln. Der Versuch war mißlungen. Er war
dennoch von ihr gegangen, aber nicht im Zorn,
sondern in friedlichem Einvernehmen, ihr Ver-
zicht hatte sein neues Glück begründet. Er be-
suchte die Frau immer noch regelmäßig am
Ersten eines jeden Monats, um ihr das Geld, zu
dessen Bezahlung er sich verpflichtet hatte, per-
sönlich zu überbringen und eine V/eile mit ihr
zu plaudern. Und immer noch schienen die
einstigen psychischen Zusammenhänge zwi-
schen den beiden Menschen vorhanden zu
sein, wenigstens war die Geschichte, die er
mir erzählte, seltsam genug und beweisend.

Ein Teil der Bücher meines Freundes R.
befand sich noch bei seiner ersten Frau auf dem
Dachboden, und eines Tages entsann er sich im
Gespräch mit seiner zweiten Frau eines dieser
Bücher, des merkwürdigen Romanes des Fran-
zosen About: „Zweimal gelebt“. Er meinte^
dieses Buch müßte sie eigentlich lesen, und er
werde es bei seinem nächsten Besuch seiner
ersten Frau von ihr verlangen und mitbringen.
Als er aber am nächsten Monatsersten seinen
Besuch machte, hatte er sein Vorhaben völlig
vergessen und kam ohne den Roman heim. Nach
einigen Tagen erst entsann er sich wieder des
Buches und versprach nun, es ganz gewiß bei
seinem nächsten Zusammensein mit seiner ersten
Frau einzufordern. Aber auch am nächsten
Monatsersten war die Sache seinem Gedächtnis
wieder entglitten. Nachdem er die übliche Zeit
verweilt hatte, war er schon im Begriffe, wieder
zu gehen, auch diesmal, ohne des Buches zu
gedenken, da stand seine Frau auf, ging still zum
Kasten und holte einen Gegenstand, den sie vor
R. auf den Tisch legte mit den Worten : „Da
hast du es! Ich hab's vom Boden herunter-
gebracht.“

Es war Abouts merkwürdiger Roman:
„Zweimal gelebt“. In den dunkeln nächtlichen
Tiefen des Unterbewußten hatte die Frau, noch
immer ihrem einstigen Gatten durch geheimnis-
volle psychische Kräfte verknüpft, seine Ge-
danken gelesen und war ihnen durch die Tat
entgegengekommen. K. H. S.



Verantwortlich: FGr.die Schriftleitung Alf von Czibulha, München. Für den Anzeigenteil Kurt Reichardt München, Herausgeber und verantwort-
licher Redakteur für Österreich: Hans Hofmann-dVlontanus, "WienXIII, Hietzinger Hauptstr. 15. Druck: J^LunchnerBuchg ewerbehaus ?y1. d^lüller & Sohn.
 
Annotationen