DAS TREIBHAUS
WUNDERLICHES UND ABSONDERLICHES
DIE PERÜCKE
(Mit einer Zeichnung von Karl Ritter.)
Daß in England oft Männer vom feinsten
Stand und von der besten Geburt, wenn
Spiel, Ausschweifung oder Unfälle sie in Ver-
legenheit setzen, die Landstraße bereisen und
dem ersten besten Reisenden ihre (oft ledige)
Pistole vorzuhalten pflegen, das ist eine längst
bekannte Sache. Einst hielt einer von diesen
Highwaymen einen reichen Wollhändler an;
zwang ihn, der auf einen solchen Vorfall ganz
unvorbereitet war, nicht bloß mit einem Paar
Guineen, sondern mit einer ziemlich ansehn-
lichen Banknote sich zu lösen, bedankte sich
höflich und sprengte davon.
Der Räuber, dem mit mancher Rücksicht
daran gelegen sein mochte, unerkannt zu bleiben,
hatte unter anderen Hilfsmitteln auch einer
schwarzen Perücke sich bedient, die fast sein
ganzes Gesicht verdeckte. Jetzt war er kaum
einige hundert Schritte von dem Orte seines
Fanges entfernt, als er diese Haarhaube weg-
warf und weiter eilte, ohne für deren ferneres
Schicksal besorgt zu sein. — Die Straße, wo
dies geschah, gehörte nicht zu den sehr be-
suchten Straßen Englands; die Perücke war
überdies noch auf einen Nebenweg hinge-
schleudert worden; sie lag daher ein ziemliches
Weilchen, eh' sich ein Liebhaber dazu fand.
Aber endlich kam der einzige Sohn eines
reichen Esquire, dessen väterliches Gut in der
Nähe war, geritten, sah sie, hob sie aus Neu-
gier mit seiner Reitgerte empor und kam durch
ein unglückliches Ungefähr auf den Einfall,
sich einen Spaß damit machen zu wollen,
,VVenn ich dies Geniste“, dachte er bei sich
selbst, „aufsetzte, so würde mich vielleicht
unser eigenes Hausgesinde, wohl gar meine
leibliche Schwester nicht kennen. Ich habe ja
nicht weit bis heim! Was tut’s, ich will’s ver-
suchen.“ — Er setzte sie auf und ritt ganz ge-
lassen weiter.
Ehe er auf seines Vaters Grund und Boden
kam, mußte er noch die Landstraße durch-
schneiden und sowohl bei einem Schlag-
baum als auch einem Zollhäuschen vorbei,
wo Wegegeld entrichtet ward. Er tat dies,
unbekümmert wegen der Leute, die er dabei
stehen sah; aber desto mehr bekümmerten sich
diese um ihn. Denn siehe da, durch einen neuen
unglücklichen Zufall hielt hier in eben diesem
Augenblick jener vor kurzem erst beraubte
Wollhändler an und erzählte einigen von un-
gefähr angetroffenen Bekannten sein trauriges
Abenteuer. Jetzt, als er im besten Erzählen
unseren jungen Esquire dahertraben sah und
auf seinem Kopfe jene Perücke erblickte, die
er nur allzu gut sich gemerkt hatte, unterbrach
er sogleich seine Erzählung und rief hastig;
,,Ei, seht da! Unser Highwayman! Greift
ihn! Greift ihn!“ — — Seine Gefährten, ge-
täuscht wie er, legten sofort Hand an. Ehe der
arme bestürzte Jüngling nur ein Wort reden
konnte, war er auch schon vom Pferde herunter-
gezogen. Es half nichts, daß er sich zu er-
kennen gab; nichts, daß der Zolleinnehmer
selbst nun für ihn und seine Unschuld Leib
und Leben zu verpfänden sich erbot; nichts,
daß von allen geraubten Stücken auch nicht
ein einziges bei ihm zu finden war. DerV^oll-
händler blieb dabei, er erkenne seinen Räuber
in ihm. Das Begehren der Verhaftung mußte
ihm gewillfahrt werden, und der peinliche
Prozeß nahm seinen gewöhnlichen Lauf.
WUNDERLICHES UND ABSONDERLICHES
DIE PERÜCKE
(Mit einer Zeichnung von Karl Ritter.)
Daß in England oft Männer vom feinsten
Stand und von der besten Geburt, wenn
Spiel, Ausschweifung oder Unfälle sie in Ver-
legenheit setzen, die Landstraße bereisen und
dem ersten besten Reisenden ihre (oft ledige)
Pistole vorzuhalten pflegen, das ist eine längst
bekannte Sache. Einst hielt einer von diesen
Highwaymen einen reichen Wollhändler an;
zwang ihn, der auf einen solchen Vorfall ganz
unvorbereitet war, nicht bloß mit einem Paar
Guineen, sondern mit einer ziemlich ansehn-
lichen Banknote sich zu lösen, bedankte sich
höflich und sprengte davon.
Der Räuber, dem mit mancher Rücksicht
daran gelegen sein mochte, unerkannt zu bleiben,
hatte unter anderen Hilfsmitteln auch einer
schwarzen Perücke sich bedient, die fast sein
ganzes Gesicht verdeckte. Jetzt war er kaum
einige hundert Schritte von dem Orte seines
Fanges entfernt, als er diese Haarhaube weg-
warf und weiter eilte, ohne für deren ferneres
Schicksal besorgt zu sein. — Die Straße, wo
dies geschah, gehörte nicht zu den sehr be-
suchten Straßen Englands; die Perücke war
überdies noch auf einen Nebenweg hinge-
schleudert worden; sie lag daher ein ziemliches
Weilchen, eh' sich ein Liebhaber dazu fand.
Aber endlich kam der einzige Sohn eines
reichen Esquire, dessen väterliches Gut in der
Nähe war, geritten, sah sie, hob sie aus Neu-
gier mit seiner Reitgerte empor und kam durch
ein unglückliches Ungefähr auf den Einfall,
sich einen Spaß damit machen zu wollen,
,VVenn ich dies Geniste“, dachte er bei sich
selbst, „aufsetzte, so würde mich vielleicht
unser eigenes Hausgesinde, wohl gar meine
leibliche Schwester nicht kennen. Ich habe ja
nicht weit bis heim! Was tut’s, ich will’s ver-
suchen.“ — Er setzte sie auf und ritt ganz ge-
lassen weiter.
Ehe er auf seines Vaters Grund und Boden
kam, mußte er noch die Landstraße durch-
schneiden und sowohl bei einem Schlag-
baum als auch einem Zollhäuschen vorbei,
wo Wegegeld entrichtet ward. Er tat dies,
unbekümmert wegen der Leute, die er dabei
stehen sah; aber desto mehr bekümmerten sich
diese um ihn. Denn siehe da, durch einen neuen
unglücklichen Zufall hielt hier in eben diesem
Augenblick jener vor kurzem erst beraubte
Wollhändler an und erzählte einigen von un-
gefähr angetroffenen Bekannten sein trauriges
Abenteuer. Jetzt, als er im besten Erzählen
unseren jungen Esquire dahertraben sah und
auf seinem Kopfe jene Perücke erblickte, die
er nur allzu gut sich gemerkt hatte, unterbrach
er sogleich seine Erzählung und rief hastig;
,,Ei, seht da! Unser Highwayman! Greift
ihn! Greift ihn!“ — — Seine Gefährten, ge-
täuscht wie er, legten sofort Hand an. Ehe der
arme bestürzte Jüngling nur ein Wort reden
konnte, war er auch schon vom Pferde herunter-
gezogen. Es half nichts, daß er sich zu er-
kennen gab; nichts, daß der Zolleinnehmer
selbst nun für ihn und seine Unschuld Leib
und Leben zu verpfänden sich erbot; nichts,
daß von allen geraubten Stücken auch nicht
ein einziges bei ihm zu finden war. DerV^oll-
händler blieb dabei, er erkenne seinen Räuber
in ihm. Das Begehren der Verhaftung mußte
ihm gewillfahrt werden, und der peinliche
Prozeß nahm seinen gewöhnlichen Lauf.