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ZUM ERSTENMAL ANS LICHT GESTELLTE, EINZIG WAHR-
HAFTE UND AUTHENTISCHE HISTORIE VON DER SCHLA-
FENDEN SCHÖNEN IM BEZAUBERTEN WALDE.

Aus: ,,Tutu'\ phantastische Episoden und poetische Exkursionen
von A. v. Sternberg, Leipzig 1846. (Mit 2 Zeichnungen.)

neigte sich
zum Unter-
gänge, als ich auf
meinem müden
'Ja^dklepper durch
den Forst irrte,
immer weiter mich von den bewohnten Gegen-
den entfernend und meine Gefährten, die ich auf-
suchen wollte, immer mehr aus meiner Nähe
verlierend. Endlich gelangte ich in eine mir völ-
lig unbekannte Gegend, die, als ich mich schär-
fer umsah, ein unheimliches und wunderbares
Gepräge an sich trug. Ich kann euch nicht be-
schreiben, wie mir zumute ward. Von Natur
nicht sehr zur Furchtsamkeit geneigt, überkam
mich dennoch ein kleines Grauen, als ich das
Licht der Abendsonne, die bis jetzt friedlich
durch die Baumstämme geschimmert hatte, ur-
plötzlich sich in ein falbes und unerklärliches
Mondlicht verwandeln sah. Es flog ein blaßer,
graubläulicher Schein durch den Wald, und
unter diesem mystischenGeflimmer bezogen sich
die Bäume rund um mich her mit langen, häß-
lichen Spinngeweben. Ich sah die Schöpferinnen
dieser fahlen Draperien, Spinnen von enormer
Korpulenz, über meinen V/eg hinlaufen und
mein armes, müdes Tier scheu machen. Ich
stieg ab und trat unter einen Baum; sogleich
fielen mir, durch die Bewegung aufgeschüttelt,
große Staubklümpchen auf Hauptund Schultern.
Jetzt sah ich, daß alle Blätter mit dickem Staub
bedeckt waren; ich entdeckte auch Vögel, aber
sie schienen einen Grabesschlaf zu schlafen.
Alles war still, nur die Spinnen arbeiteten.
Aufgeregt und staunend tat ich einige Schritte
durchs Dickicht vorwärts und entdeckte jetzt
die Türme eines Schlosses, das seine dunkel-
farbigen Zinnen über die entfernten Baum-
gipfel emporsteigen ließ. Mein Entschluß war
gefaßt; ich ging auf dieses Schloß zu. Aber es
war nicht so leicht, den Eingang zu erlangen.
Ich mußte mich durch ein Gitter dichtverfloch-
tener Baumstämme und Zweige durchschlagen
und dazu die verwünschten Spinnen, die hier

in Unzahl sich zusammengerottet hatten, mit
meinem Jagdmesser mir vom Leibe halten.
Endlich bestieg ich das Portal des Schlosses
und klopfte an dessen geheimnisvolle Pforte.
Sie wurde geöffnet, aber ich sah niemanden,
der dabei tätig war. Tiefe Stille überall, kein
Laut, kein Anzeichen, daß Menschen hier
weilten. Das Schloß war in gotischem Stil
gebaut, ich sah dies flüchtig, denn mir fehlte die
Ruhe, hierüber aufmerksame und erschöpfende
Betrachtungen anzustellen. Durch einen dunklen
Flur trat ich in eine Halle, wo ich eine zahl-
reiche Dienerschaft versammelt fand, sämtlich
aber,und in den verschiedenartigsten Stellungen,
in tiefem Schlaf begraben. Diese träge Schar
erregte in mir Unwillen und Staunen. Ich
rüttelte einen dieser pflichtvergessenen Tra-
banten am Arm, aber es war mir nicht möglich,
ihn wach zu machen. So ging ich denn un-
angemeldet in die innern Gemächer, die von
fürstlichem Glanze strahlten.

Kerzen brannten überall und vervielfältigten
ihren Glanz in hohen bis auf den Fußboden
reichenden Spiegeln; Blumenvasen standen auf
marmornen Konsolen verteilt und schöne Sta-
tuen erhoben, durch die rotdamastenen Tapeten
günstig herausgestellt, ihre alabasternen Leiber
im Glanz und Pracht dieser Atmosphäre.
Weiche Teppiche deckten den Boden und
machten den Tritt unhörbar. Eine lange Galerie,
die voll Bilder prangte, durchschritt ich eilig
und kam in ein Gemach, das mir einen seltenen
Anblick bot. Es war gefüllt durch eine Menge
Personen, welche, wie es schien, zu einer
Assemblee hier versammelt waren, aber
sämtlich auch im Schlafe lagen. Aber im
höchsten Grade mußte es auffallen, wie diese
geputzten Herren und Damen friedlich einer
an der Schulter des andern ruhten. Es blieb
mir nicht Zeit, alle Einzelheiten zu beobachten,
ich strebte weiter. Als ich eine Seitentür
öffnete, kam ich in eine Art Boudoir, in dem
ich eine Schläferin von großer Schönheit fand.
Sie lag hier allein und abgesondert, wahr-

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