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AUS DEM TRAUMBUCH EINES DETEKTIVS

Von Leopold PlaicLinger (Mit einer Initiale und zwei Zeichnungen von E. P1 a i ch in g e r - C o 11 e 11 i).

I.

ch gehe auf einer Land-
straße. Es ist Nacht,
mein Hund läuft neben
mir und trägt amHals-
band die Blendlaterne.
Großgeballte Velken,
wie sie in Vorfrüh-
lingsnächten über den
Himmel stürmen, ziehen am Mond vorbei, ohne
ihn zu bedecken. Trotzdem liegen Straße und
Landschaft in undurchdringlicher Finsternis.
Da stürzt der Mond mit langem Lichtstreif
gegen den Horizontrand. Ich deute mit dem
Finger hin und sage zum Hund: „Dort ist die
Spur!“ Der Hund senkt den Kopf, schnüffelt
gegen die Erde und ich sehe im grellen Licht-
kreis der Laterne eine Fußspur. Ich knie nieder
und betrachte durch ein Vergrößerungsglas die
Spur. „Sie muß sehr kleine Füße haben“, sage
ich zum Hund, der blitzschnell beide Vorder-
läufe auf die Spur setzt, als wäre da ein Tier
gelaufen, das er nun gefangen. Ich wollte den
Hund ahdrängen, er gehorchte nicht. Ich weiß,
daß ich gefunden, was ich suchte, und ich schrie
den Hund an: „Laß ab, Lord, du zerstörst die
Spur der menschlichen Geschichte.“ Ich drücke
rasch mit dem Daumen der linken Hand hinter
die Ohrmuschel des Hundes, so daß das Tier mit
steif von sich gestreckten Beinen sofort reglos
am Boden liegt.

V/ieder blicke ich durchs Vergrößerungsglas
und sehe in der Spur des Frauenschuhs, ins Oval
der Sohle eingezeichnet, einen feinen, hoch-
gereckten, nackten Frauenkörper, auf dessen
Stirne ein hochgestelltes, rotes Dreieck ein-
gezeichnet ist. Im kreisrunden Absatz wie-
derum das gleiche rote Dreieck.

Ich sage zu mir selbst, „das rote Dreieck
stammt von einem dreikantigen Dolch“, und
gleichzeitig höre ich eine Stimme von irgend-
woher: „Jede Spur ist vom Weibe, jede Spur
führt zum Weibe.“ Ich springe auf und laufe
querfeldein über Wiesen, über Wassergräben
und durch Sumpfgrund und laut bellend vor
mir her der Hund.

Plötzlich steht vor mir eine Vf and, die aus
dickem Rauch und Nebel zu bestehen scheint.

ich laufe weiter und die Vfand bleibt in immer
gleicher Entfernung vor mir stehen. Plötzlich
ein ungeheurer Lichtkreis der Blendlaterne auf
der and und im Lichtkreis zu Baumgröße
vergrößert ein Abbild der Fußspur, die ich vor-
hin auf der Straße gesehen. Das Weib erscheint
mir größer als irgend ein Baum; ein grünliches
Licht strahlt von ihrem Leibe aus. Das rote
Dreieck von ihrer Stirne ist verschwunden,
aber unter ihrer linken Brust trägt sie eine weit
klaffende Herzwunde.

Eine Stimme spricht in mir: .Jedermann ist
ein Detektiv, der das Weib verfolgt“, und das
V/eib, das da so groß auf der Nebelwand steht,

gibt mir zur Antwort:.„und tötet es mit

einem Herzstich, weil er es nie für immer fangen
kann“ .

Ich sitze in einer Zelle des Frauengefängnisses.
Zu meinen Füßen liegt der Hund. Er klopft
mit dem rechten Vorderlauf auf den Fußboden,
ich übertrage das Klopfen in Morsezeichen und
schieße gleichzeitig mit meiner Pistole, wie mit
einem Maschinengewehr, die Buchstaben in
die Gefängniswand. In leuchtender punktierter
Schrift erscheinen die Buchstaben

L.P.

auf der Wand und ich übertrage den Sinn dieser
Buchstaben, indem ich zu mir selbst sage:

,Ja, ja, es stimmt, ich liebe dich, deshalb muß
ich dich verhaften und der ewigen Gerechtigkeit
überliefern, damit der Sinn der menschlichen
Geschichte sich erfülle“ ....

Ich bin wieder auf der Landstraße und stehe
am Ufer eines träge, dunkel dahinfließenden
Stromes. Mit einemmal ist’s heller Tag und hell
flirrender Sonnenschein durchdringt das Was-
ser. Kleine lichthlitzende Fischlein schießen
über hellem Kiesgrund durcheinander, plötzlich
sprießen Blumen aus dem Flußgrund, große rot-
kelchige Tulpen, leuchtend-blaue Glocken-
blumen, tiefhöhlige große Fingerhutblüten. Ich
selbst bin unter Wasser, kleiner als ein Zwerg,
halte in der rechten Hand schußbereit meine
Pistole und laufe durch das Blumengewirr, wie
durch einen hochstämmigen Wald. Rund im
Kreise um mich herum, mit leise schwingenden
 
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