PHANTASTISCHE BÜCHER
An dieser Stelle zeigen wir an und besprechen neuere und ältere phantastische Literatur, graphische Blätter, Werke
unserer Mitarbeiter usw.
Frajik Heller, Yussuf Khans Heirat, Thespis-
verlag, München 1919. Ehe einer Frank Hellers neuestes
Buch aufschlägt, sei er gewarnt! Denn, so er zur un-
rechten Zeit zu lesen anfängt und das Buch etwa vor der
Bureauzeit, vor einem wichtigen Geschäft oder vor einem
Stelldichein beginnt, so wette ich tausend gegen eins:
Er geht nicht ins Bureau, versäumt das schönste Schieber-
geschäft und erhält von seiner erzürnten Liebsten am
nächsten Morgen den Abschiedsbrief. Denn es gehört schon
ein Charakter dazu, „Yussuf Khans Heirat“ eher aus der
Hand zu legen als bis der glückliche Held zu Ende dieses
Buches mit einem w i r kliehe n Maharadscha (die Wirk-
lichkeit der Personen in diesem Buche immer aufs ge-
naueste zu untersuchen, rate ich jedem) nach Indien und
wie wir hoffen, neuen Abenteuern entgegenfährt. Cz. _
Frank Heller, Lavertisse macht den Haupttreffer,
Roman, Thespisverlag, München 1919. Frank Heller,
Die Finanzen des Großherzogs, Roman, Thespis-
verlag, München 1919. Professor Pclotard (wie erinnerlich
hieß er einst Collin) und Lavertisse, sein Spießgesell' und
Kamerad, sind, trotzdem sie Hochstapler, Diebe, Einbrecher,
Grundstückschwindler, hin und wieder bißchen Wechsel-
fälscher und auch ein wenig Taschendiebe sind, ein ent-
zückendes Paar. Mit einer unnachahmlichen Geste führen
sie die Welt an der Nase herum und blamieren so ziemlich
jeden Menschen, der ihnen über den Weg läuft; nicht
zuletzt und ganz besonders ihren Leib- und Lieblingsdetektiv.
Auf den Kopf gestellte Detektivgeschichten, darin der
Meister detektiv unaufhörlich düpiert wird und die Ver-
brecher niemals fängt, das ist schon etwas. Und wenn
gar dieser reizende Professor Pelotard, alias Collin, plötzlich
in Finanztransaktionen und in das Leben eines Großherzogs
eingreift und ihm Thron und Reich rettet, so ist das gewiß
eine Geschichte, die sich hören läßt und die man lesen muß.
Um so mehr dann, wenn sie so vorzüglich geschrieben ist,
wie alle Bücher dieses schwedischen Tausendsassas Frank
Heller. — Es wäre undankbar, nicht zu erwähnen, daß die
Übersetzung, die Marie Franzos besorgte, ausgezeichnet ist.
Cz.
Gleichen-Rußwurm: Die gotische W^ eit,
Sitten und Gebräuche im späten Mittelalter. Preis geheftet
14 M., geh. 18 M. Verlag Julius Hoff mann, Stuttgart.
A. Gleichen-Rußwurm hat hier die durch K. Lamprechts
Neuorientierung der Geschichtsbetrachtung gestellte Auf-
gabe gelöst, Geschichte aus ihrem eigensten Fließen und
Strömen heraus zu begreifen. Mit einem Male ist Gotik
keine begriffliche Abstraktion mehr, sondern lebendiger
Impuls, konkrete Zeit, in der neben Hellstem Verkommenstes,
neben steilkurvigem Aufstieg Verhängnis und Verfall steht.
Mit galanter Liebenswürdigkeit und unendlich fesselnder
Plastik weiß der Autor die großen phantastisch-irrationalen
Züge dieser Zeit darzustellen. Die dargebotene Fülle der
phantastischen Wirklichkeit dieser Zeit sei nur angedeutet
durch den Rosenorden, die Pest in Europa, der Tod wird
Mode, das Narrenwesen, Luxus und Kunst, Politik und
Geselligkeit der gotischen Zeit sind vielleicht noch nie so
lebendig dargestellt worden- Dr. W.
Sven Elvestad — „Der Mann, der die Stadt
plünderte . Thespis-Verlag, München 1919. Gewiß eine
der besten Detektivgeschichten, die je geschrieben wurden.
Die Fabel ist derart originell und spannend, die Lösung
so unerwartet und psychologisch so interessant und die
Sprache so gut, daß das Buch himmelhoch alles das über-
ragt, was man wohl sonst Detektivgeschichte nennt. Sven
Elvestads Roman ist ebenso wie Frank Hellers Bücher ein
Beweis, daß die Gedanken-Assoziation: Detektivgeschichte
— Kolportagelektüre durchaus falsch und unberechtigt ist.
Sie ist ebenso irrig wie die Behauptung, daß Reichtum
und Buntheit der Handlung dem literarischen Werte eines
Buches Abbruch tun. Es kommt nämlich lediglich darauf
an, ob ein Künstler hinter dem Werke steht, der die Fülle
der Handlung künstlerisch und psychologisch meistert.
Schreibt jemand abseits der Detektivgeschichte ein schlechtes
Buch, so wird es zum Kitsch — — Beim Kriminalmotiv
nennt man’s wohl Kolportage — was keineswegs besagen darf,
daß jede Detektivgeschichte notwendigerweise Schundlektüre
sein muß. Lediglich die Scheu vor dieser ganz unberechtigten
Meinung ist der Grund, warum nur ganz selten ein wirk-
licher Künstler — wie eben hier — sich in das psycho-
logisch und künstlerisch so fruchtbare Gebiet der Krimina-
listik wagt. Cz.
Wilhelm Matthiessen, James C. V. Plum,
Kabeuschen oder der große Meister, ein unerhörter
Detektivroman. "W. Matthiessen, Regiwissa. Verlag
Erich Matthes, Leipzig und Hartenstein i. Erzgeb. 1920.
Vielleicht ist Phantastik noch nie so leicht und anmutig
geschaffen worden, wie in diesen beiden Büchern. M.
„macht“ keine Bilder, er „zaubert“ sie im besten Sinne
des ^Vortes eines aus dem andern „heraus“. Unaufhörlich
wogen farbenbunte Verwandlungen durcheinander. Von
einem ernsten Hintergrund hebt sich in beiden Büchern
eine unerschöpflich reiche, zierlich gebaute Handlung ab,
eine ^iVelt voll Humor und Freude. Manche Stellen in
„Regiwissa“ haben in Prägnanz und in der Unmittelbarkeit
des Noch-nie-Dagewesenen kein Gleiches in der Literatur
der letzten hundert Jahre. M’s. stärkste Begabung liegt
im Märchen. Er arbeitet ausschließlich mit neuen Motiven.
Nichts ist abgegriffen, alles blank und eben erst aus dem
Schmelztiegel einer Phantasie gekommen, die kaum von der
Art des Tageshewußtseins, viel eher von der des Traum-
lehens ist. So sind die beiden Bücher nicht zuletzt auch
Fundgruben für die Psychologie des genialen Schaffens.
Der „unerhörte Detektivroman“ heht die Schranke zwischen
Tod und Leben auf. Die Tätigkeit James Kabeuschens
erstreckt sich zum Großteil ins Reich der Abgeschiedenen,
und daß Geheimrat Pahsch Basteln von Berlin mit einem
Haftbefehl gegen den Heiligen Geist anrückt, liegt durchaus
in der Ordnung der Dinge in dieser neuartigen Detektiv-
und Liebesgeschichte. Hier ist endlich Phantastik im besten
Sinne gedichtet worden. Dr. W.
Eingesandte Bücher.
Hans Much, Die Heimkehr des Vollendeten.
Ein Erlebnis. Adolf Saal, Hamburg, 1920.
Hans Much, Dhammapada, Adolf Saal, Ham-
burg, 1920.
T. Kais e r - Mü nche n. Mein Tag. Neue Lyrik.
Xenienen-Verlag, Leipzig, 1920.
Eugen Hoeflich, Feuer im Osten, E. P. Tal 8? Co„
Verlag, Wien, 1920.
VerantwortlichFür die Schriftleitung Ä]f von CzibuHa. München. Für den Anzeigenteil Kurt R eicharät, München. Herausgeber und verantwortl.
Redakteur für Österreich : Hans Hofmann-Montanus, AVien Xlll. Hietzinger Hauptstr. 15, Druck: Münchner Buchgewerbehaus 7*1. Müller & Sohn.
An dieser Stelle zeigen wir an und besprechen neuere und ältere phantastische Literatur, graphische Blätter, Werke
unserer Mitarbeiter usw.
Frajik Heller, Yussuf Khans Heirat, Thespis-
verlag, München 1919. Ehe einer Frank Hellers neuestes
Buch aufschlägt, sei er gewarnt! Denn, so er zur un-
rechten Zeit zu lesen anfängt und das Buch etwa vor der
Bureauzeit, vor einem wichtigen Geschäft oder vor einem
Stelldichein beginnt, so wette ich tausend gegen eins:
Er geht nicht ins Bureau, versäumt das schönste Schieber-
geschäft und erhält von seiner erzürnten Liebsten am
nächsten Morgen den Abschiedsbrief. Denn es gehört schon
ein Charakter dazu, „Yussuf Khans Heirat“ eher aus der
Hand zu legen als bis der glückliche Held zu Ende dieses
Buches mit einem w i r kliehe n Maharadscha (die Wirk-
lichkeit der Personen in diesem Buche immer aufs ge-
naueste zu untersuchen, rate ich jedem) nach Indien und
wie wir hoffen, neuen Abenteuern entgegenfährt. Cz. _
Frank Heller, Lavertisse macht den Haupttreffer,
Roman, Thespisverlag, München 1919. Frank Heller,
Die Finanzen des Großherzogs, Roman, Thespis-
verlag, München 1919. Professor Pclotard (wie erinnerlich
hieß er einst Collin) und Lavertisse, sein Spießgesell' und
Kamerad, sind, trotzdem sie Hochstapler, Diebe, Einbrecher,
Grundstückschwindler, hin und wieder bißchen Wechsel-
fälscher und auch ein wenig Taschendiebe sind, ein ent-
zückendes Paar. Mit einer unnachahmlichen Geste führen
sie die Welt an der Nase herum und blamieren so ziemlich
jeden Menschen, der ihnen über den Weg läuft; nicht
zuletzt und ganz besonders ihren Leib- und Lieblingsdetektiv.
Auf den Kopf gestellte Detektivgeschichten, darin der
Meister detektiv unaufhörlich düpiert wird und die Ver-
brecher niemals fängt, das ist schon etwas. Und wenn
gar dieser reizende Professor Pelotard, alias Collin, plötzlich
in Finanztransaktionen und in das Leben eines Großherzogs
eingreift und ihm Thron und Reich rettet, so ist das gewiß
eine Geschichte, die sich hören läßt und die man lesen muß.
Um so mehr dann, wenn sie so vorzüglich geschrieben ist,
wie alle Bücher dieses schwedischen Tausendsassas Frank
Heller. — Es wäre undankbar, nicht zu erwähnen, daß die
Übersetzung, die Marie Franzos besorgte, ausgezeichnet ist.
Cz.
Gleichen-Rußwurm: Die gotische W^ eit,
Sitten und Gebräuche im späten Mittelalter. Preis geheftet
14 M., geh. 18 M. Verlag Julius Hoff mann, Stuttgart.
A. Gleichen-Rußwurm hat hier die durch K. Lamprechts
Neuorientierung der Geschichtsbetrachtung gestellte Auf-
gabe gelöst, Geschichte aus ihrem eigensten Fließen und
Strömen heraus zu begreifen. Mit einem Male ist Gotik
keine begriffliche Abstraktion mehr, sondern lebendiger
Impuls, konkrete Zeit, in der neben Hellstem Verkommenstes,
neben steilkurvigem Aufstieg Verhängnis und Verfall steht.
Mit galanter Liebenswürdigkeit und unendlich fesselnder
Plastik weiß der Autor die großen phantastisch-irrationalen
Züge dieser Zeit darzustellen. Die dargebotene Fülle der
phantastischen Wirklichkeit dieser Zeit sei nur angedeutet
durch den Rosenorden, die Pest in Europa, der Tod wird
Mode, das Narrenwesen, Luxus und Kunst, Politik und
Geselligkeit der gotischen Zeit sind vielleicht noch nie so
lebendig dargestellt worden- Dr. W.
Sven Elvestad — „Der Mann, der die Stadt
plünderte . Thespis-Verlag, München 1919. Gewiß eine
der besten Detektivgeschichten, die je geschrieben wurden.
Die Fabel ist derart originell und spannend, die Lösung
so unerwartet und psychologisch so interessant und die
Sprache so gut, daß das Buch himmelhoch alles das über-
ragt, was man wohl sonst Detektivgeschichte nennt. Sven
Elvestads Roman ist ebenso wie Frank Hellers Bücher ein
Beweis, daß die Gedanken-Assoziation: Detektivgeschichte
— Kolportagelektüre durchaus falsch und unberechtigt ist.
Sie ist ebenso irrig wie die Behauptung, daß Reichtum
und Buntheit der Handlung dem literarischen Werte eines
Buches Abbruch tun. Es kommt nämlich lediglich darauf
an, ob ein Künstler hinter dem Werke steht, der die Fülle
der Handlung künstlerisch und psychologisch meistert.
Schreibt jemand abseits der Detektivgeschichte ein schlechtes
Buch, so wird es zum Kitsch — — Beim Kriminalmotiv
nennt man’s wohl Kolportage — was keineswegs besagen darf,
daß jede Detektivgeschichte notwendigerweise Schundlektüre
sein muß. Lediglich die Scheu vor dieser ganz unberechtigten
Meinung ist der Grund, warum nur ganz selten ein wirk-
licher Künstler — wie eben hier — sich in das psycho-
logisch und künstlerisch so fruchtbare Gebiet der Krimina-
listik wagt. Cz.
Wilhelm Matthiessen, James C. V. Plum,
Kabeuschen oder der große Meister, ein unerhörter
Detektivroman. "W. Matthiessen, Regiwissa. Verlag
Erich Matthes, Leipzig und Hartenstein i. Erzgeb. 1920.
Vielleicht ist Phantastik noch nie so leicht und anmutig
geschaffen worden, wie in diesen beiden Büchern. M.
„macht“ keine Bilder, er „zaubert“ sie im besten Sinne
des ^Vortes eines aus dem andern „heraus“. Unaufhörlich
wogen farbenbunte Verwandlungen durcheinander. Von
einem ernsten Hintergrund hebt sich in beiden Büchern
eine unerschöpflich reiche, zierlich gebaute Handlung ab,
eine ^iVelt voll Humor und Freude. Manche Stellen in
„Regiwissa“ haben in Prägnanz und in der Unmittelbarkeit
des Noch-nie-Dagewesenen kein Gleiches in der Literatur
der letzten hundert Jahre. M’s. stärkste Begabung liegt
im Märchen. Er arbeitet ausschließlich mit neuen Motiven.
Nichts ist abgegriffen, alles blank und eben erst aus dem
Schmelztiegel einer Phantasie gekommen, die kaum von der
Art des Tageshewußtseins, viel eher von der des Traum-
lehens ist. So sind die beiden Bücher nicht zuletzt auch
Fundgruben für die Psychologie des genialen Schaffens.
Der „unerhörte Detektivroman“ heht die Schranke zwischen
Tod und Leben auf. Die Tätigkeit James Kabeuschens
erstreckt sich zum Großteil ins Reich der Abgeschiedenen,
und daß Geheimrat Pahsch Basteln von Berlin mit einem
Haftbefehl gegen den Heiligen Geist anrückt, liegt durchaus
in der Ordnung der Dinge in dieser neuartigen Detektiv-
und Liebesgeschichte. Hier ist endlich Phantastik im besten
Sinne gedichtet worden. Dr. W.
Eingesandte Bücher.
Hans Much, Die Heimkehr des Vollendeten.
Ein Erlebnis. Adolf Saal, Hamburg, 1920.
Hans Much, Dhammapada, Adolf Saal, Ham-
burg, 1920.
T. Kais e r - Mü nche n. Mein Tag. Neue Lyrik.
Xenienen-Verlag, Leipzig, 1920.
Eugen Hoeflich, Feuer im Osten, E. P. Tal 8? Co„
Verlag, Wien, 1920.
VerantwortlichFür die Schriftleitung Ä]f von CzibuHa. München. Für den Anzeigenteil Kurt R eicharät, München. Herausgeber und verantwortl.
Redakteur für Österreich : Hans Hofmann-Montanus, AVien Xlll. Hietzinger Hauptstr. 15, Druck: Münchner Buchgewerbehaus 7*1. Müller & Sohn.