wissen, was das schwarze, wilde, tückischeTier
dort in seinem Schoße trug. Man mußte es wissen
um jeden, auch um den höchsten Preis. Da kam
die starre, blinde Entschlossenheit des Selbst-
mörders über ihn. Er befahl dem Kutscher, in die
Stadt zurückzufahren. Näher und drohender
rückten die schwarzen Schattenbilder heran;
mit dumpfem Krachen undleisemKettengerassel
schloß sich hinter ihm das Tor. Baptiste empfing
ihn mit einer Gebärde jähen Entsetzens. „Um s
Himmels willen, Herr, hättet Ihr denn die
dummen Pistolen nicht hier liegen lassen kön-
nen?“ „Die Pistolen?“ murmelte Herr von La-
fitte zerstreut. ,Ja richtig, die habe ich droben
in meinem Zimmer vergessen. Es wäre schade,
wenn sie verloren gingen . . . .“
Herr von Lafitte kehrte nicht mehr nach
seinem schönen Landsitz zurück. Wie Baptiste
es vorhergesagt hatte, wurden am nächsten Tage
die Tore von Paris geschlossen und auf das
strengste bewacht. Man legte ihm nahe, die
Kavalierstracht abzulegen, die an und für sich
schon als Zeichen hochverräterischer Gesinnung
galt; er aber schüttelte stumm den Kopf und
trug seine seidenen Strümpfe und Schnallen-
schuhe, seinen Degen und seine Brokatweste
durch jene sturmbewegten Tage spazieren.
Er sah, wie die Nationalversammlung ihre
Sitzungen schloß, wie die gesetzgebende Ver-
sammlung denKönig zurKriegserklärung zwang,
die Tuilerien stürmen und ihn gefangen setzen
fiel?; er stand inmitten der Zuschauer, als die
neue große Hinrichtungsmaschine, die Guil-
lotine, zum erstenmal in Tätigkeit trat, und
nickte langsam mit dem ergrauenden Kopf: er
erkannte das grausige Werkzeug, das er in jener
Traumnacht auf seinem Schloß gesehen hatte.
In sein Memoirenbuch trug er mit der Ge-
wissenhaftigkeit des Gelehrten Abend für
Abend alle Ereignisse seines Lebens ein, von
jener düsteren Prophezeiung bis zur letzten
Stral?enrevolte der Jakobiner.
D as Gesetz gegen die Verdächtigen war
beschlossen worden, und es genügte dem Re-
volutionstribunal, daß der Bürger Lafitte die
Tracht der alten Zeit trug und nach dem Zeug-
nisse seines ehemaligen Kammerdieners kö-
niglich gesinnt war. Man brachte ihn in die
Kellerräume des Temple. Dort saß er noch
drei Monate lang gefangen, beobachtete die
letzten Zuckungen der sterbenden V/elt des
ancien regime und führte sein Tagebuch weiter,
das er an jenem Morgen, der ihn auf die Ober-
welt und zum Tode brachte, einem gutmütigen
Sergeanten übergab. „Ihr werdet klug tun, mein
Freund,“ sagte er, „das Ding da sorgsam auf-
zubewahren; es wird vielleicht eines Tages
sehr wertvoll sein.“ Der Mann verstand ihn
nicht; aber er sah, daß an dem dunkelroten
Leder starke goldene Spangen befestigt waren,
und schob grinsend das Buch in die Tasche.
Der Leichnam des Herrn von Lafitte wurde
mit vielen Hunderten anderer Opfer der
Schreckenszeit mit ungelöschtem Kalk bestreut
und irgendwo am Ufer der Seine verscharrt.
Er war dahingegangen, wie er gelebt hatte,
ohne Furcht und ohne Hoffnung; nichts blieb
von seinem glänzenden Dasein zurück als jenes
Tagebuch, das nach zwanzig Jahren von einem
Mitglied der Akademie bei einem Trödler im
Faubourg St.-Germain gefunden und der Na-
tionalbibliothek einverleibt wurde.
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dort in seinem Schoße trug. Man mußte es wissen
um jeden, auch um den höchsten Preis. Da kam
die starre, blinde Entschlossenheit des Selbst-
mörders über ihn. Er befahl dem Kutscher, in die
Stadt zurückzufahren. Näher und drohender
rückten die schwarzen Schattenbilder heran;
mit dumpfem Krachen undleisemKettengerassel
schloß sich hinter ihm das Tor. Baptiste empfing
ihn mit einer Gebärde jähen Entsetzens. „Um s
Himmels willen, Herr, hättet Ihr denn die
dummen Pistolen nicht hier liegen lassen kön-
nen?“ „Die Pistolen?“ murmelte Herr von La-
fitte zerstreut. ,Ja richtig, die habe ich droben
in meinem Zimmer vergessen. Es wäre schade,
wenn sie verloren gingen . . . .“
Herr von Lafitte kehrte nicht mehr nach
seinem schönen Landsitz zurück. Wie Baptiste
es vorhergesagt hatte, wurden am nächsten Tage
die Tore von Paris geschlossen und auf das
strengste bewacht. Man legte ihm nahe, die
Kavalierstracht abzulegen, die an und für sich
schon als Zeichen hochverräterischer Gesinnung
galt; er aber schüttelte stumm den Kopf und
trug seine seidenen Strümpfe und Schnallen-
schuhe, seinen Degen und seine Brokatweste
durch jene sturmbewegten Tage spazieren.
Er sah, wie die Nationalversammlung ihre
Sitzungen schloß, wie die gesetzgebende Ver-
sammlung denKönig zurKriegserklärung zwang,
die Tuilerien stürmen und ihn gefangen setzen
fiel?; er stand inmitten der Zuschauer, als die
neue große Hinrichtungsmaschine, die Guil-
lotine, zum erstenmal in Tätigkeit trat, und
nickte langsam mit dem ergrauenden Kopf: er
erkannte das grausige Werkzeug, das er in jener
Traumnacht auf seinem Schloß gesehen hatte.
In sein Memoirenbuch trug er mit der Ge-
wissenhaftigkeit des Gelehrten Abend für
Abend alle Ereignisse seines Lebens ein, von
jener düsteren Prophezeiung bis zur letzten
Stral?enrevolte der Jakobiner.
D as Gesetz gegen die Verdächtigen war
beschlossen worden, und es genügte dem Re-
volutionstribunal, daß der Bürger Lafitte die
Tracht der alten Zeit trug und nach dem Zeug-
nisse seines ehemaligen Kammerdieners kö-
niglich gesinnt war. Man brachte ihn in die
Kellerräume des Temple. Dort saß er noch
drei Monate lang gefangen, beobachtete die
letzten Zuckungen der sterbenden V/elt des
ancien regime und führte sein Tagebuch weiter,
das er an jenem Morgen, der ihn auf die Ober-
welt und zum Tode brachte, einem gutmütigen
Sergeanten übergab. „Ihr werdet klug tun, mein
Freund,“ sagte er, „das Ding da sorgsam auf-
zubewahren; es wird vielleicht eines Tages
sehr wertvoll sein.“ Der Mann verstand ihn
nicht; aber er sah, daß an dem dunkelroten
Leder starke goldene Spangen befestigt waren,
und schob grinsend das Buch in die Tasche.
Der Leichnam des Herrn von Lafitte wurde
mit vielen Hunderten anderer Opfer der
Schreckenszeit mit ungelöschtem Kalk bestreut
und irgendwo am Ufer der Seine verscharrt.
Er war dahingegangen, wie er gelebt hatte,
ohne Furcht und ohne Hoffnung; nichts blieb
von seinem glänzenden Dasein zurück als jenes
Tagebuch, das nach zwanzig Jahren von einem
Mitglied der Akademie bei einem Trödler im
Faubourg St.-Germain gefunden und der Na-
tionalbibliothek einverleibt wurde.
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