DAS JEU
Von Klab und
Schon als Embryo batte ich die unleid-
liche Angewohnheit, Bakkarat zu spielen.
Als ich in neun Monaten zur Welt kam, ge-
wann ich auf diese Weise mit einem Coup
tausend Mark, die ich zurücklegte, um damit
später mein Einjährig-Freiwilligen-Jahr zu be-
streiten, denn meine
Eltern waren arme
Leute. Mein V ater
Delikatei?warenhänd-
ler, meine Mutter eine
Kandidatin der Philo-
logie. Gleiche Inter-
essen hatten sie zu-
sammengeführt, eine
heilige Sympathie der
Herzen. Es war eine
Liebesheirat, wie sie
im Buche steht. Meine
Mutter nährte mich
an den Brüsten der
Wissenschaft, was sie
bedeutend weniger an-
strengte, als wenn sie
es an ihren eigenen
getan hätte. Die Er-
ziehungsmethode mei-
nesV aters beschränkte
sich darauf, mirBück-
linge, Johannisbeer-
brot, amerikanisches
Büchsenfleisch,Milch-
Schokolade entweder
zu gewähren oder zu
entziehen. So hielten
sich Ideologie und
praktische Lebenskunde in meiner Erziehung
die Wage der Gerechtigkeit.
Mit fünf Jahren fiel mir ein Komet auf den
Kopf, wodurch meine Kopfform etwas Ein-
gedrücktes und Abgeplattetes bekam. Zugleich
bemerkte man aus diesem Zeichen des Himmels,
dal? das Schicksal Grol?es mit mir vorhatte.
In meinem neunten Jahre (eine Glückszahl!
die Zahl des Bakkarat, bemerken Sie wohl!)
verlor Eduard der Siebente von England Indien
im Baccarat an mich. Ich wurde Vizekönig
von Indien, welchen Beruf ich bis zu meinem
dreizehnten Jahre voll und ganz ausfüllte. Da-
nach legte ich die Krone in die Hände Seiner
englischen Majestät zurück. Sie begann, mich
auf meinem abgeplat-
teten Kopf erheblich
zu drücken. Sie war
übrigens nur schwach
vergoldet. |Uberall
blinkte das Silber hin-
durch. Mit vierzehn
Jahren machte ich das
Einjährigen - Examen
und wurde bald
darauf zum Reserve-
leutnant befördert.
Als solcher konnte
ich das Jeu erst recht
nicht lassen. Ich ver-
lor aber in einem fort,
endlich sogar meinen
Verstand, welchen ich
für hundert Mark in
Zahlung geben mul?te.
Sic transit gloria
mundi. Wenn ich an
meine Jugend und an
Indien denke! Spre-
chen wir nicht mehr
davon, die Tränen
kommen mir in die
Augen. Meine gute
Mutter! W"er hätte
das gedacht! Eine so
prosaische Verbindung und ein so absurder
Spröl?ling. Pumpen Sie mir fünfzig Mark, ich
setze alles, mein letztes auf eine Karte. Wenn
ich gewinne, kaufe ich mir ein Zebra oder
eine rosa Frühlingswolke.
Was schlägt? Bube, Dame — ich kaufe eine
Karte — König — zum Teufel mit dem Jeu.
An die Laterne mit dem König. Ich werde Kegel
schieben lernen . . alle neune . . alle neune . . .
H. H. Bummeratedt / Der Tote
7
Von Klab und
Schon als Embryo batte ich die unleid-
liche Angewohnheit, Bakkarat zu spielen.
Als ich in neun Monaten zur Welt kam, ge-
wann ich auf diese Weise mit einem Coup
tausend Mark, die ich zurücklegte, um damit
später mein Einjährig-Freiwilligen-Jahr zu be-
streiten, denn meine
Eltern waren arme
Leute. Mein V ater
Delikatei?warenhänd-
ler, meine Mutter eine
Kandidatin der Philo-
logie. Gleiche Inter-
essen hatten sie zu-
sammengeführt, eine
heilige Sympathie der
Herzen. Es war eine
Liebesheirat, wie sie
im Buche steht. Meine
Mutter nährte mich
an den Brüsten der
Wissenschaft, was sie
bedeutend weniger an-
strengte, als wenn sie
es an ihren eigenen
getan hätte. Die Er-
ziehungsmethode mei-
nesV aters beschränkte
sich darauf, mirBück-
linge, Johannisbeer-
brot, amerikanisches
Büchsenfleisch,Milch-
Schokolade entweder
zu gewähren oder zu
entziehen. So hielten
sich Ideologie und
praktische Lebenskunde in meiner Erziehung
die Wage der Gerechtigkeit.
Mit fünf Jahren fiel mir ein Komet auf den
Kopf, wodurch meine Kopfform etwas Ein-
gedrücktes und Abgeplattetes bekam. Zugleich
bemerkte man aus diesem Zeichen des Himmels,
dal? das Schicksal Grol?es mit mir vorhatte.
In meinem neunten Jahre (eine Glückszahl!
die Zahl des Bakkarat, bemerken Sie wohl!)
verlor Eduard der Siebente von England Indien
im Baccarat an mich. Ich wurde Vizekönig
von Indien, welchen Beruf ich bis zu meinem
dreizehnten Jahre voll und ganz ausfüllte. Da-
nach legte ich die Krone in die Hände Seiner
englischen Majestät zurück. Sie begann, mich
auf meinem abgeplat-
teten Kopf erheblich
zu drücken. Sie war
übrigens nur schwach
vergoldet. |Uberall
blinkte das Silber hin-
durch. Mit vierzehn
Jahren machte ich das
Einjährigen - Examen
und wurde bald
darauf zum Reserve-
leutnant befördert.
Als solcher konnte
ich das Jeu erst recht
nicht lassen. Ich ver-
lor aber in einem fort,
endlich sogar meinen
Verstand, welchen ich
für hundert Mark in
Zahlung geben mul?te.
Sic transit gloria
mundi. Wenn ich an
meine Jugend und an
Indien denke! Spre-
chen wir nicht mehr
davon, die Tränen
kommen mir in die
Augen. Meine gute
Mutter! W"er hätte
das gedacht! Eine so
prosaische Verbindung und ein so absurder
Spröl?ling. Pumpen Sie mir fünfzig Mark, ich
setze alles, mein letztes auf eine Karte. Wenn
ich gewinne, kaufe ich mir ein Zebra oder
eine rosa Frühlingswolke.
Was schlägt? Bube, Dame — ich kaufe eine
Karte — König — zum Teufel mit dem Jeu.
An die Laterne mit dem König. Ich werde Kegel
schieben lernen . . alle neune . . alle neune . . .
H. H. Bummeratedt / Der Tote
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