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PHANTASIE

Von Sieghard Bacharach

Dämmernd senkt sich Nacht über ver-
löschenden Tag, leise pendeln Blätter
riesiger Palmen im Wind, der erborgte Hitze
mit Sonnenuntergang von sich tat. Doch noch
immer lastet Schwüle im Hain, über den sich
eilends der Nacht blauschattender Mantel
breitet. Ich schaue liegend empor zu den
^Vipfeln und warte — ich weil? nicht, auf was ..

Finsternis liegt so dicht, dal? schattenhaft
nur verschwommene Linien andeuten, was
vorher Bäume waren. Dumpfe Luft steht um
mich, geschwängert mit Düften, die betäubend
die Stirn umwinden, brennende Sinnlichkeit
weckend. Üppig flattert sie auf wie die Mil-
lionen Scharen leuchtender Nachtinsekten, die,
allmählich tanzendes Feuerwerk, mich um-
schwärmen. Springende Funken flimmern vor
meinen Augen, Blut jagt durch hämmernde
Pulse, jetzt, jetzt mul? es kommen ... Da —
um mich toller Reigen wirbelnder Mädchen-
leiber, wild flattern Haare um schwellende
Brüste, rasend drehen sie sich zu der Musik,
die der Leuchtinsekten Riesenorchester summt.
Nah und näher drängen sie um mich, heil?
weht mich ihr rascher Atem an, einen Augen-

blick berührt ein Schenkel den meinen und ich
spüre die zitternde Lust, die ihr Schol? geheim-
nisvoll birgt. Doch wie ich auch um mich
greife, packe nach lustschwangeren Körpern —,
immer nur fasse ich nichts, gleiten sie weg in
die Nacht. Und mein Blut schäumt höher und
höher und reil?t mich mit und trägt mich empor
bis in die schaukelnden Wipfeln. Da legt sich
kühlend der Wind auf mein heil?es Blut und
mit silbernen Strahlen beruhigt der Mond die
rasenden Pulse. Uber mir ewig gleich stehen
zahllose Sterne mit zwinkernden Augen, und
weise wackeln alle Palmen mit den Häuptern.

Auf einmal aber merke ich, dal? ich nicht
mehr auf windhewegten Wipfeln mich wiege.
Ich schaukle auf Wellen, die sich aus schwan-
kenden Fluten heben; endlos dehnt sich um
mich ein Meer. Da suchen meine Augen den
Grund und blicken nur Rätsel um Rätsel auf-
einander getürmt. Und es spannen sich meine
Gedanken und bohren sich durch von Rätsel
zu Rätsel. Aber in das Loch, das entsteht,
stürzt sich mit ganzem Gewicht — mein Ich.
So steige ich langsam tiefer und tiefer, unend-
lich lange. Ob ich je einmal Grund erreiche?

W. Heise / Chinesische Zwergenzucht

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