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betrunken? Ich lief zu meinem Pferde hinunter,
doch bevor ich es erreichte, machte es einen
Satz zur Seite und jagte davon. Manuel war
verschwunden. Ich stieg die Anhöhe hinan
und fing mir dessen Pferd ein. Am Wasser-
lauf machte ich einen Augenblick halt und sah
mich nach Fußspuren oder dergleichen um. Da
brach ohne äußere Veranlassung eines der
großen frischgrünen Blätter vom Stengel, die
Büsche bewegten sich, als ob jemand hindurch-
schritte — —“

Jetzt unterbrach lautes Lachen den Erzähler:
„Aber Doktor, Sie haben ja geträumt, reden
Sie doch um alles in der Welt zu ernsthaften
Leuten nicht von solchen Märchen —“

„Halt!“ unterbrach ich den Sprecher. „Meine
Herren, lassen Sie den Kollegen ausreden, ich
glaube alles Wort für Wort und sage Ihnen
später, warum!“

Dr. Hoppe fuhr fort:

„Als ich zurückkam, fand ich meine Diener in
heller Aufregung. Sie getrauten sich nicht mehr
in das Haus, weil dort jemand Unfug treibe! —
In der Küche waren — der räuberischen
Opossums wegen — die Hühnereier freischwe-
bend an dünnem Strick in einem Beutel unter-
gebracht. Bei Tagesanbruch hatte die Köchin
über zwanzig Eier in den Sack getan — drei
Stunden später fand sie die leeren Schalen in
dem Beutel, aber keine Spur von Flüssigkeit,
die Eier waren an Ort und Stelle verzehrt
worden. — Eben geerntete Papayofrüchte fand
man ebenfalls nur noch in Überresten. — Dieb-
stahl von innen oder außen ist absolut ausge-
schlossen. Es gelang mir erst nach langem Reden
und mit weitgehendsten Versprechungen, die
Leute zum Bleiben zu bewegen — bis abends
die Köchin entsetzt zu mir auf die Veranda
stürzte und beteuerte, sie habe einen heißen

Atem im Nacken gespürt. Zehn Minuten später
war ich mit Manuel allein!

So geht das nun seit sieben Tagen. Eier und
Früchte verschwinden, die Pferde arbeiten sich
in den Ställen los, und ich muß sie im Freien
lassen. Dabei leide ich unter den schlimmsten
Wahnvorstellungen — Manuel ebenfalls.

Sind wir im Zimmer, auf der Veranda, im
Garten, gleichviel wo, immer fühlen wir un-
sichtbare Wiesen um uns, wir ahnen ihre An-
wesenheit, sie sitzen zwischen uns, wenn wir
bei Tisch sind, und wenn ich abends bei Lam-
penschein lese, bemerke ich oft, daß der Spiegel
den Lichtschein nicht zurückwirft, daß also
irgend etwas zwischen Licht und Spiegel steht!
Und jeden Morgen liegen die Schalen der aus-
getrunkenen Eier vor den Nestern. — —“

Alle blickten voll tiefem Mitgefühl auf den
unglücklichen Mann, der ganz gebrochen in
einem Schaukelstuhl lag und einer schweren
Nervenzerrüttung entgegensiechte. Um so er-
freuter war ich, als ich bemerkte, daß die Er-
zählung meines eingangs geschilderten Erleb-
nisses den Kranken sichtlich aufrichtete, und
wenn ich ihm auch keine Aufklärung zu geben
vermochte, so sah er doch ein, daß er nicht —
wie er fürchtete — im Banne von Wahnvor-
stellungen war.

Anfangs waren meine Begleiter geneigt,
meine kleine Geschichte als eine Erfindung
aufzufassen, bestimmt, den armen Doktor auf
andere Gedanken zu bringen — aber in der-
selben Nacht hatten noch fünf Herren Gelegen-
heit, die unerklärlichen Erscheinungen im
Hause Hoppes persönlich wahrzunehmen.

Im Innern Nordbrasiliens waren damals noch
einige weitere Fälle solcher geheimnisvoller
Vorgänge bekannt — ich habe aber bis heute
nicht gehört, daß man eine wissenschaftlich
einwandfreie Erklärung für diese — Phantasie-
gebilde oder Rätselwesen — gefunden hätte.

Bemerkungen der Schriftleitung

Das Titelblatt zeichnete Max Leidlein

Verantwortlich: Für die Schriftleitung ÄJf von Cxibulha, München. Für den Anzeigenteil Kurt Reichardt, München. Herausgeber imdrernntwort-
licher Redakteur für Österreich : Hans Hofmann-Montanus, Wien XIII, Hietzinger Hauptstr. 15. Druck : Münchner Buchgewtr behausM. MuJhr&Zohn.
 
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