durchgesetzt hatte, weil sie ja doch schon sehr
ausführlich obduziert worden war. Immerhin
war die Erlaubnis ein höchst ungewöhnlicher
Fall gewesen. Die Behörden bewilligten tief-
gerührt das Ansuchen des über den Tod hinaus
getreuen Gatten, die Frauen weihten ihm eine
Träne der Bewunderung, und die Ehemänner
schüttelten den Kopf: sie verstanden die Welt
nicht mehr.
Aber dem Ray onsposten, der verheiratet war,
kam aus dieser Eigenschaft heraus die Er-
leuchtung. Wenn einem zwanzig Jahre ein lang-
mähniges Geschöpf belehrend, mahnend, jam-
mernd, tadelnd durchs Haus fegt, dann hört
man auf, die Gabe des Sprechens zu über-
schätzen, dann wertet man beispielsweise die
Stille nächtlicher Dienstgänge entsprechend
hoch. Und warum soll ein anderer wieder
nicht entdecken, dal? ein Skelett ruhiger, an-
spruchsloser und zweifellos gemütlicher ist als
eine lebende Dame? Ein Gerippe steht zwar
nicht des Morgens auf und kocht Kaffee, da-
gegen bleibt sein krampfhaft heiterer Gesichts-
ausdruck unverändert, selbst wenn man die
Zigarrenasche auf den Boden streut oder einem
hübschen Dienstmädchen zulächelt. Es war
gar nicht so absonderlich, wenn man mit dem
Knochengerüst seiner Frau auf vertrauterem
Ful? stand als . . . als vorher.
Der Schutzmann drückte dem Herrn ver-
ständnisinnig die Hand. „Er hat sich vor dem
Gerippe gefürchtet“, sagte er.
„Vor meiner Amalia?“ fragte der Hausherr
überrascht und schüttelte verwundert den Kopf.
„Wenn er die erst zu ihren Lebzeiten gekannt
hätte!“
DIE FORELLEN DES WIRTES TONIO
Eine Gescliiclite von Richard Rieß. (Mit vier Leisten von Karl Ritter.)
Die Stadt Perunza liegt im Staate Texas
unseres gesegneten Landes *, so begann
James Mullsen, der seinen Freunden eine
jener merkwürdigen Geschichten versprochen
hatte, die er „Schwänke aus seinem Leben zu
nennen pflegte. Und das Leben dieses toll-
kühnen Journalisten war reich an derlei
„Schwänken“. Ob alle sie sich wirklich so
begeben haben, wie Mullsen sie erzählte —
wer konnte das nachprüfen. Immerhin: Span-
nend waren sie, und so die beste Waffe im
Kampfe gegen die Abendstunden regentrüber
Novemhertage.
„Die Stadt Perunza liegt im Staate Texas
unseres gesegneten Landes“, begann Mullsen.
„Eine liebliche Stadt, man trägt sie an denFül?en
und an den Händen, denn sie ist berühmt durch
ihre Textilindustrie. Sie werden mir freilich
glauben, dal? ich nicht als Einkäufer für
Smith & Sons nach Perunza kam. Mich hatten
die ,New York Times'’ über die Schienen-
stränge geschickt, um Mrs. Hool, die Großtante
Mr. Patsons, zu interviewen, der für die da-
maligen Präsidentenwahlen sehr aussichtsreich
kandidierte (und^dementsprecbend auch durch-
gefallen ist).
Meine Herren, ich hatte also Mrs. Hool in-
terviewt, sehr instruktive Einzelheiten über
unseren Kandidaten erfahren und nun die Ab-
sicht, nach New York zurückzufahren, da
fragte mich der Clerk meines Hotels, ob ich
denn Perunza verlassen wollte, ohne . . .ja
ausführlich obduziert worden war. Immerhin
war die Erlaubnis ein höchst ungewöhnlicher
Fall gewesen. Die Behörden bewilligten tief-
gerührt das Ansuchen des über den Tod hinaus
getreuen Gatten, die Frauen weihten ihm eine
Träne der Bewunderung, und die Ehemänner
schüttelten den Kopf: sie verstanden die Welt
nicht mehr.
Aber dem Ray onsposten, der verheiratet war,
kam aus dieser Eigenschaft heraus die Er-
leuchtung. Wenn einem zwanzig Jahre ein lang-
mähniges Geschöpf belehrend, mahnend, jam-
mernd, tadelnd durchs Haus fegt, dann hört
man auf, die Gabe des Sprechens zu über-
schätzen, dann wertet man beispielsweise die
Stille nächtlicher Dienstgänge entsprechend
hoch. Und warum soll ein anderer wieder
nicht entdecken, dal? ein Skelett ruhiger, an-
spruchsloser und zweifellos gemütlicher ist als
eine lebende Dame? Ein Gerippe steht zwar
nicht des Morgens auf und kocht Kaffee, da-
gegen bleibt sein krampfhaft heiterer Gesichts-
ausdruck unverändert, selbst wenn man die
Zigarrenasche auf den Boden streut oder einem
hübschen Dienstmädchen zulächelt. Es war
gar nicht so absonderlich, wenn man mit dem
Knochengerüst seiner Frau auf vertrauterem
Ful? stand als . . . als vorher.
Der Schutzmann drückte dem Herrn ver-
ständnisinnig die Hand. „Er hat sich vor dem
Gerippe gefürchtet“, sagte er.
„Vor meiner Amalia?“ fragte der Hausherr
überrascht und schüttelte verwundert den Kopf.
„Wenn er die erst zu ihren Lebzeiten gekannt
hätte!“
DIE FORELLEN DES WIRTES TONIO
Eine Gescliiclite von Richard Rieß. (Mit vier Leisten von Karl Ritter.)
Die Stadt Perunza liegt im Staate Texas
unseres gesegneten Landes *, so begann
James Mullsen, der seinen Freunden eine
jener merkwürdigen Geschichten versprochen
hatte, die er „Schwänke aus seinem Leben zu
nennen pflegte. Und das Leben dieses toll-
kühnen Journalisten war reich an derlei
„Schwänken“. Ob alle sie sich wirklich so
begeben haben, wie Mullsen sie erzählte —
wer konnte das nachprüfen. Immerhin: Span-
nend waren sie, und so die beste Waffe im
Kampfe gegen die Abendstunden regentrüber
Novemhertage.
„Die Stadt Perunza liegt im Staate Texas
unseres gesegneten Landes“, begann Mullsen.
„Eine liebliche Stadt, man trägt sie an denFül?en
und an den Händen, denn sie ist berühmt durch
ihre Textilindustrie. Sie werden mir freilich
glauben, dal? ich nicht als Einkäufer für
Smith & Sons nach Perunza kam. Mich hatten
die ,New York Times'’ über die Schienen-
stränge geschickt, um Mrs. Hool, die Großtante
Mr. Patsons, zu interviewen, der für die da-
maligen Präsidentenwahlen sehr aussichtsreich
kandidierte (und^dementsprecbend auch durch-
gefallen ist).
Meine Herren, ich hatte also Mrs. Hool in-
terviewt, sehr instruktive Einzelheiten über
unseren Kandidaten erfahren und nun die Ab-
sicht, nach New York zurückzufahren, da
fragte mich der Clerk meines Hotels, ob ich
denn Perunza verlassen wollte, ohne . . .ja