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tungsposten am Fenster konnte ick die beiden
Straßen, die zum Walde und zum Friedbofe
führten, überseben. Nun karrte ick aus.

Nichts regte sieb vor dem Hause. Einmal
nur erschien des Wirtes Gestalt, im Mondlicbt
als Silhouette deutlich erkennbar. Er ging ein
paar Schritte auf dem zum Walde führenden
Wege.

Erst eine Stunde später, als der Abend
schon weit in die Nacht gegangen war, regte
es sich auf der Straße. Zwei Pfiffe hörte ich.
D ann einen Ruf, wie wenn der Wasservogel
schreit. Lauter vernahm ich die Antwort, und
schon trat Tonio vor die Tür. Gespannt ver-
folgte ich seine Bewegungen. Wen erwartete
er jetzt, zur Nachtzeit? Den Atem hielt ich
an, gebannt von der Atmosphäre des Geheim-
nisses. Da sah ich denn einen kleinen Zug, der
dem Hause näherkam. Zwei Männer trugen
auf einer schmalen Bahre eine verhüllte
Fracht. Sie traten mit Tonio ins Haus . . . und
schon erwog ich, die große Wirtsstuhe zu be-
treten, die neben der Altane lag, da hörte ich,
wie nebenan die Tür geöffnet wurde. Schnell
duckte ich mich, daß die Holzwand mich den
Blicken verbärge. Doch konnte ich wagen,
durch die Glasverkleidung zu spähen, als ich
merkte, daß drinnen nicht das elektrische Licht
angeknipst worden war. Eine Blendlaterne gab
dem geheimnisvollen Geschäfte genügend Helle.
Keine Bewegung entging mir, und auch die
Worte der Männer, so behutsam sie gesprochen
wurden, fanden denWeg zu meinem Lauscher-
posten. Es waren Worte schrecklicher Be-
deutung. Und schrecklich war die Last, die
die Boten vor Tonio nun entblößten: Ich er-
kannte die Leiche eines Menschen.

,Noch ganz frisch, sagte meckernd der eine
Dunkelbärtige. Dann beugte er sich über den

Tisch, auf den Tonio Münzen zählte. 'Müh-
same Arbeit', fuhr er fort. ,Laßt Eure Maul-
würfe nicht hungern.

Tonio brachte eine Weinflasche und trug
auf hölzernem Teller Brot und Wurst. Jeder
der Diener trank einmal, Fleisch und Flasche
wurden dann in dem Tuche verwahrt, das eben
noch den Leichnam bedeckt hatte. ,Waren
uns heute hart auf den Fersen', erzählte der
Sprecher, der das Paket an sich nahm. ,Sollten
sich lieber an die halten, die uns unsere War’
vor . . be , . rei . . ten . . . Wir tun keinem
etwas, der atmet... nehmen keinem etwas, was
er entbehrt. . . Dem da (er wies auf den Leich-
nam) fehlt sein Haus nicht mehr . . . sein Haus
aus Knochenbein und Fleischlappen . . . Addio,
Tonio.' Er erhob sich schwer von der Bank,
schlug seinem Kameraden auf die Schulter und
ging mit dem Begleiter zur Tür hinaus. Ich
hörte ihre verklingenden Schritte . . . Ich hörte
sie, weil mein Ohr in diesen Augenblicken
feiner als je reagierte. Das geschieht oft, wenn
unser Geist von irgend etwas so völlig benom-
men ist, daß die Sinne wacher werden . . . Ich
hörte, aber ich sah auch . . . meine Augen
hingen nur so aus ihrem Stirngehäuse . . . kaum
konnte ich nun dem Munde gebieten, der rufen
wollte . .. schreien .. ., als Tonio nun den Toten
umfing und ihn fortzerrte . . . Was mir bei
nüchternen Sinnen als Wagnis erschienen wäre,
nun tat ich’s wie etwas Selbstverständliches:
Ich öffnete die Tür und schlich mich ins Zim-
mer. Der Leib des Toten schlurfte hinter dem
Wirte am Boden, über der Schwelle stol-
perte der Kopf und schlug auf den Stein-
fließen des Küchenhodens auf. Tonio schien
nichts zu hören . . . nicht die grausigen Ge-
räusche, die die Leiche verursachte, nicht
meinen schattenwischigen Schritt. Die Blend-

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