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Der Orchideengarten

Phantastische Blätter

Herausgeber Karl Hans Strobl

Zweiter Jahrgang

Schriftleiter Alf von Czibulka

Neunzehntes Heft

WIE EINE SCHÖNE

LIEBE

DAME HEIMLICH DER
PFLEGTE

Von Matteo Bandello, gestorben um 1562 als Bischof von Agen. (Mit drei Abbildungen von A. V/oelfle.)

ls ich durch Mailand
kam, erzählte mir einer
meiner Freunde eine
Geschichte von einer
jungen, sehr reichen und
überaus schönen Wit-
we, die, obgleich erst
zwanzig Jahre alt, das
Gelübde getan hatte, sich nicht mehr zu ver-
heiraten. Sie hatte ein Söhnlein, welches noch
nicht ein Jahr alt war,als ihr Gemahl starb und
sein Kind zum Erben seines ganzen Vermögens
einsetzte. Der Gattin waren 5000 Dukaten
jährlichen Einkommens gesichert, und überdies
hatte sie die unumschränkte Verwaltung über
das Erbteil ihres Sohnes.

Sie wohnte in einem stolzen Palaste, dessen
innere Einrichtung von dem Reichtume und
dem Geschmacke der schönen Besitzerin
solchermaßen zeugte, daß ihm keiner in ganz
Mailand gleichkam. Ein zierlicher Wagen mit
vier prächtigen Rossen stand ihr zu Gebot, und
obschon ihre Dienerschaft nicht mehr so zahl-
reich war als zu Lebzeiten ihres Gatten, so
war derselben doch noch genug. Überdies
hatte sie einen alten Kanzler im Palaste, einen
Verwalter auf ihren Gütern außerhalb der
Stadt, einen Haushofmeister, zwei Läufer und

einige Pagen. Daß es ihr auch an weiblicher
Bedienung nicht fehlte, läßt sich denken.

Sie hielt strenge darauf, daß sich alle am
Abend zur geziemenden Stunde in ihre Ge-
mächer zurückzogen, und wenn dann der Palast
geschlossen war, ließ sie sich die Schlüssel
bringen und behielt sie die Nacht hindurch.
Und so lebte sie ruhig in großen Ehren, hatte
wenig Umgang mit ihren Verwandten, noch
weniger mit andern, und führte ein einsames
Leben, treu das Gelübde beachtend und be-
wahrend, nie wieder ein Eheband zu knüpfen.

Sie war von edler Herkunft, hatte selbst ein
großes Vermögen und eine reiche Morgengabe,
ihr Gemahl war aus einer der ersten Familien
gewesen, und man wußte allgemein, daß des
Goldes in Fülle in ihren Kassen sei, da man
ihre reichen Einnahmen und die wenigen Aus-
gaben, welche sie zu bestreiten hatte, wohl
kannte. Es umgab sie daher bald eine Schar
von Edelleuten, um ihre Liebe zu gewinnen,
manche den Reiz ihres Leibes, andere das herr-
liche Vermögen erstrebend; allein ihre Be-
mühungen waren vergebens. Arabella — so
hieß die schöne Frau — erwiderte auf Anträge
der Art, sie habe den edelsten und vortreff-
lichsten Mann zum Gatten gehabt und sei ein-

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