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zig von ihm geliebt worden, wie er ihr noch
im Tode mit den deutlichsten Beweisen seine
große Zuneigung bewiesen habe, sie wolle da-
her das Schicksal nicht versuchen und sich der
Gefahr aussetzen, das Glück und die Freiheit
ihres Lebens in fremde Hände zu geben.

Sie heharrte standhaft in ihrem Entschlüsse,
unbekümmert um das Treiben derer, die sich
um ihre Gunst bemühten und sie Tag um Tag
mit neuen Anträgen belästigten. Bald erkann-
ten sie alle, dal? sie weder dem einen noch dem
andern auch nur eine freundliche Miene zeigte.

So vergingen ungefähr zwei Jahre, ohne dal?
sie irgend jemanden die geringste Zuneigung
bewiesen hätte, vielmehr schien es, als sei ihr
die ganze Welt verhaßt, und es kam ihr nicht
einmal in den Sinn, sich zu verlieben oder sich
in das Joch der Ehe zu begeben.

Aber die Liebe, erzürnt über die Sprödigkeit
dieses schönen Weibes,beschloß, ihren keuschen
Vorsatz auf jede Weise zu vernichten und
über sie zu triumphieren.

Es begab sich, daß Arabella mit einem ihrer
Mädchen am Feste der Verkündigung Mariä
in eine der Kirchen Mailands ging, wo an dem-
selben Tage vollkommener Ablaß der Sünden
zu erlangen war. Hier sah sie einen Edelmann,
ihr gerade gegenüberstehend, der sie die Ab-
sicht ihres Kirchengehens so gänzlich vergessen
machte und ihr Herz augenblicklich mit einer
so glühenden Liebe erfüllte, daß sie nur mit
Mühe das Auge vor ihm niederschlug und ihn
gern immer und immer angehlickt hätte, denn
es war in der Tat ein äußerst zarter, frischer
und schöner Jüngling, dessen Blick und Anstand
den Adel der Seele und des Herzens bekundete.

Arabella glaubte in ihrem Leben keinen an-
mutigeren und feineren Jüngling gesehen zu

haben und hob öfter und öfter die seidenen
V/impern auf, das wundersüße Bild recht fest
in die Seele zu drücken. Doch beachtete der
junge Mann, der sein Glück nicht ahnen mochte,
diese Blicke nicht, und ihre unendliche Sehn-
sucht, daß er sich einmal zu ihr wenden möge,
blieb unerfüllt zu ihrem großen Schmerze, denn
ihr schien es, als erfülle sein Anblick ihre Seele
mit wundersamer Lust. Indessen näherte sich
ein Gewürzhändler, hei dem die schöne Frau
ihre Gewürze u. dgl. zu kaufen pflegte, dem
jungen Manne und begann mit ihm zu reden,
und weil sich deren Gespräch in die Länge
zog, winkte sie ihrem alten Diener, welcher
sie in die Kirche begleitet hatte, zu ihr zu
kommen. Er gehorchte ehrerbietig, und sie
fragte nun mit leiser Stimme, ob er den Edel-
mann kenne, welcher eben mit dem Gewürz-
händler spreche. Da er die Frage verneinte,
trug ihm die Herrin auf, sorgfältig nach dessen
Namen und Zunamen zu forschen. Bald darauf
ging der Jüngling von dannen, und der Bediente
folgte ihm langsam. So hinter ihm dreinschrei-
tend, begegnete der Diener einem Packträger,
mit dem er sehr bekannt war. Und weil die
Packträger in alle Häuser der Stadt kommen
und beinahe jeden kennen, so fragte er ihn, wer
der junge Edelmann sei, welcher mit drei Die-
nern vor ihnen gehe, und ob er ihn kenne. Je
freilich, sagte der Packträger, ich hin in seinem
Hause sehr bekannt und leiste ihm die Woche
hindurch tausend Dienste. Dann nannte er ihm
des Jünglings Namen und Zunamen — jener
warFrederico — und die Gegend, in welcher
er wohnte. Darauf sagte der verscl - Alte,
damit der Packträger keinen Verdacht fassen
möchte: Sieh', wie sehr ich miih getäuscht
habe, ich hielt ihn für einen andern, mit dem

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