Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
sich vor Ringen nicht hiegen konnten — diese
alle, die dank der Enge des Raumes und der
herrschenden Langeweile zu einer Gesellschaft
verschmolzen waren, begrüßten mit Neugierde
und mit Freude am Morgen des nächsten Tages
die neugekommenen Reisegefährten.

Die nicht sehr abwechslungsreichen Zer-
streuungen bestanden außer der Frühmesse und
den geschickten Späßen der Gaukler im Ge-
schichtenerzählen, wobei ein jeder nach der
festgelegten Reihenfolge den anderen etwas
erzählen mußte, und die alte Regel, nach der

eine jede Geschichte entweder belustigend oder
bewegend, jedenfalls aber belehrend sein mußte,
nicht außer ädht gelassen werden durfte. Am
ersten Abend erzählte der Mönch, wie im
spanischen Lerida, wo er mehrere Jahre lang
als Sekretär der Heiligen Inquisition gewirkt
habe, der älteste Vorsteher, namens Don Pedro,
dessen asketische Lebensweise berühmt war,
lange Jahre mit dem Teufel gekämpft habe und
wie er dann, obwohl er Zeit seines Lebens alle
jene Versuchungen, denen häufig auch die
Brüder des Heiligen Ordens erlagen, siegreich

N A D I N E

Eine Erzählung in Priors-Manier. Ch. M. Wieland 1762. (Mit drei Zeichnungen von A. Woelfle.)

adine, komm und misch' in deinen Kuß
Den Zauberton, der Philomelen

[gleichet.

Indes dieNacht mit unbemerktem Fuß
Den jungen Tag in Florens Arm

[beschleichet.

Ein Augenblick wird schon zu teu r
Sie fliehn, sie fliehn mit Flügeln an den Füßen, [versäumt;
Die Stunden fliehn, die unter unsern Küssen
Ein Quincica am Quell der Lust verträumt.

Hat meinen letzten Hauch dein Mund einst aulgeküßt,
AVas folget uns ins öde Reich der Schatten?

Ach! die Erinnerung, was wir genossen hatten.

Ist mehr vielleicht, als dann uns übrig ist.“

So spricht Amynt und drückt, indem er's spricht.

An ihren Schwanenhals sein glühendes Gesicht
Und fühlt, vom Arm der Liebe sanft umwunden,

Den ganzen Wert der eilenden Sekunden.

Mit Augen, wo die Traurigkeit

ln süße Wollust schmilzt, verschämt, doch hingerissen
Von eurer Macht, Natur und Zärtlichkeit,

Entwind't sie lässig nur sich seinen heißen Küssen.

Die schlaue Nacht zieht jüngferlich bescheiden
Ein Wölkchen, wie vom dünnsten Silberflor,

Dem Seitenblick der spröden Luna vor;

Ein Rosenbusch wächst schnell um sie empor.

Und ungesehn umfiattert sie ein Chor
Von Liebesgöttern und von Freuden.

Nur einer aus der kleinen Schar,

Ein junger Scherz von dreisterem Geschlechte,

Den eine Grazie dem schönsten Faun gebar.

Setzt schalkhaft auf dem braunen Haar
An deiner Stirn, Nadine, sich zurechte.

Amynt wird ihn zuletzt gewahr
Und will den losen Gaukler fangen;

Allein der Scherz, der leicht von Füßen war.

Entschlüpft und flieht in eins der Grübchen ihrer "Wangen.

Auch hier verfolget ihn Amynt.

Nun, denkt er, soll mir's doch in ihren Lippen glücken!
Ja! wäre nicht sein Gegner echnell besinnt.

Den kleinen Gott mit Kifssen zu ersticken.

Er zappelt wie ein junger Aal

Im feuchten Netz, und schlägt und sträubt sich mit den Flügeln,
Bis zwischen sanft erhabnen Hügeln
 
Annotationen