Vom warmen Schnee ein dämmernd Rosental
Sich ihm entdeckt. — Er glitscht an einer Leiter
Von Bändern unvermerkt herab.
Umsonst! Der Mund, der keine Rast ihm gab.
Folgt ihm durch Berg und Tal und treibt ihn immer weiter.
Wohin, o Venus, soll er fliebn?
Wo kann er zu entrinnen hoffen?
■Wie soll er sich der Schmach, erhascht zu sein, entziehn?
Wo ist noch eine Zuflucht offen?
So wie ein Reh, vom frühen Horn erweckt.
Mit raschem Lauf, der kaum das Gras berühret.
Von Bergen flieht, dann steht, die Ohren reckt.
Dann schneller 'eilt, vom Nachhall fortgeschreckt.
Und sich zuletzt in einen Hain verlieret,
Wo krauser Büsche Nacht ihm seinen Feind versteckt:
So eilt der schlaue Scherz, ganz atemlos vor Schrecken,
So leis er kann, in eine Freistatt sich.
Wo ihn sein Jäger sicherlich
Nicht suchen werde, zu verstecken.
Der Flüchtling glaubt in Paphos tiefstem Hain,
Wo, unentdeckt sogar bei Sonnenschein,
Sich Amor oft an Spröden schon gerochen.
Glaubt in Cytherens Heiligtum,
In Dadals Labyrinth, ja im Elysium
Nicht sicherer zu sein, als wo er sich verkrochen.
Allein der Liebesgötter Schar,
Die, Bienen gleich, doch unsichtbar.
In Trauben an Nadinens Wangen,
An ihrem Rosenmund, an ihrem Busen hangen.
Bemerkten bald die reizende Gefahr
Und schrien laut — als es zu späte war:
Ach, Brüderchen, du bist gefangen!
überstanden hätte, einmal doch unterlegen wäre
und sich, von einer jungen Hexe verlockt, öffent-
lich vor den Augen der ganzen Stadt in die
Flammen des Scheiterhaufens geworfen und
dort im Feuer sich mit dem jungen Weibe ge-
paart hätte und so untergegangen sei, wodurch
er großes Ärgernis hervorgerufen hätte.
Die Erzählung wurde mit großem Interesse
angehört. Darauf jedoch erklärte der Kapitän,
daß es schon längst Zeit sei, die Lichter zu
löschen und sich zur Ruhe zu begeben, und so-
mit begaben sich alle in die ihnen angewiesenen
Räumlichkeiten.
Die letzten von allen waren Felice und sein
Page. Endlich aber mußten auch sie die allge-
meine Kajüte verlassen und waren wieder allein,
was sie, wie nach einer Übereinkunft, den ganzen
Tag über vermieden hatten. Der Jüngling war
sehr bleich und schien im äußersten Maße er-
schöpft zu sein, und so sagte Angelika, einzig
vom Gefühl des Mitleids hierzu bewogen:
„Auch diese Nacht wird dir wieder keine Ruhe
bringen, wieder keinen Schlaf, wenn du nicht,
wie du es zu Hause gewohnt bist, deine
Kleider ablegen wirst. Ich dagegen bin bereit*
die ganze Nacht auf dem Verdeck zu ver-
bringen, um nur deine Ruhe nicht zu stören.“
Aber dieser Vorschlag versetzte Felice in
Bestürzung. Vielleicht fürchtete er sich davor,
allein bleiben zu müssen, und so engegnete er
ihr mit größerer Entschlossenheit, als die ge-
wöhnliche Höflichkeit erfordert hätte: „Ich
werde sowieso nicht einschlafen können,
wissend, daß du draußen im Sturm und Regen
schaudern mußt.“ Er ergriff ihre Hand, um sie
nicht fortzulassen, und es schien, er würde so-
gleich in Tränen ausbrechen. Angelika mußte
ihn beruhigen, als wäre er ein Kind, und so
sprach sie: „Ich versprach deinem Vater, dich
zu behüten, und ich werde alles tun, was du
willst. Dennoch mußt du dich entkleiden, wie
es sich gehört. Ich werde mich abwenden und
nicht hinsehn.“
Felice ließ sich nicht lange bitten. Gehorsam
legte er ein Kleidungsstück nach dem anderen
ab. Angelika jedoch, die mit dem Rücken zu
ihm saß, half ihm bald jene Schnalle lösen, bald
jenen widerspenstigen Knoten aufbinden, wobei
sie mit der Hand rückwärts griff und sich mit
Tasten zurechtfinden mußte. Heiter und un-
gezwungen plaudernd, legten sie sich so nieder,
obwohl sie noch immer vermieden, einander
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Sich ihm entdeckt. — Er glitscht an einer Leiter
Von Bändern unvermerkt herab.
Umsonst! Der Mund, der keine Rast ihm gab.
Folgt ihm durch Berg und Tal und treibt ihn immer weiter.
Wohin, o Venus, soll er fliebn?
Wo kann er zu entrinnen hoffen?
■Wie soll er sich der Schmach, erhascht zu sein, entziehn?
Wo ist noch eine Zuflucht offen?
So wie ein Reh, vom frühen Horn erweckt.
Mit raschem Lauf, der kaum das Gras berühret.
Von Bergen flieht, dann steht, die Ohren reckt.
Dann schneller 'eilt, vom Nachhall fortgeschreckt.
Und sich zuletzt in einen Hain verlieret,
Wo krauser Büsche Nacht ihm seinen Feind versteckt:
So eilt der schlaue Scherz, ganz atemlos vor Schrecken,
So leis er kann, in eine Freistatt sich.
Wo ihn sein Jäger sicherlich
Nicht suchen werde, zu verstecken.
Der Flüchtling glaubt in Paphos tiefstem Hain,
Wo, unentdeckt sogar bei Sonnenschein,
Sich Amor oft an Spröden schon gerochen.
Glaubt in Cytherens Heiligtum,
In Dadals Labyrinth, ja im Elysium
Nicht sicherer zu sein, als wo er sich verkrochen.
Allein der Liebesgötter Schar,
Die, Bienen gleich, doch unsichtbar.
In Trauben an Nadinens Wangen,
An ihrem Rosenmund, an ihrem Busen hangen.
Bemerkten bald die reizende Gefahr
Und schrien laut — als es zu späte war:
Ach, Brüderchen, du bist gefangen!
überstanden hätte, einmal doch unterlegen wäre
und sich, von einer jungen Hexe verlockt, öffent-
lich vor den Augen der ganzen Stadt in die
Flammen des Scheiterhaufens geworfen und
dort im Feuer sich mit dem jungen Weibe ge-
paart hätte und so untergegangen sei, wodurch
er großes Ärgernis hervorgerufen hätte.
Die Erzählung wurde mit großem Interesse
angehört. Darauf jedoch erklärte der Kapitän,
daß es schon längst Zeit sei, die Lichter zu
löschen und sich zur Ruhe zu begeben, und so-
mit begaben sich alle in die ihnen angewiesenen
Räumlichkeiten.
Die letzten von allen waren Felice und sein
Page. Endlich aber mußten auch sie die allge-
meine Kajüte verlassen und waren wieder allein,
was sie, wie nach einer Übereinkunft, den ganzen
Tag über vermieden hatten. Der Jüngling war
sehr bleich und schien im äußersten Maße er-
schöpft zu sein, und so sagte Angelika, einzig
vom Gefühl des Mitleids hierzu bewogen:
„Auch diese Nacht wird dir wieder keine Ruhe
bringen, wieder keinen Schlaf, wenn du nicht,
wie du es zu Hause gewohnt bist, deine
Kleider ablegen wirst. Ich dagegen bin bereit*
die ganze Nacht auf dem Verdeck zu ver-
bringen, um nur deine Ruhe nicht zu stören.“
Aber dieser Vorschlag versetzte Felice in
Bestürzung. Vielleicht fürchtete er sich davor,
allein bleiben zu müssen, und so engegnete er
ihr mit größerer Entschlossenheit, als die ge-
wöhnliche Höflichkeit erfordert hätte: „Ich
werde sowieso nicht einschlafen können,
wissend, daß du draußen im Sturm und Regen
schaudern mußt.“ Er ergriff ihre Hand, um sie
nicht fortzulassen, und es schien, er würde so-
gleich in Tränen ausbrechen. Angelika mußte
ihn beruhigen, als wäre er ein Kind, und so
sprach sie: „Ich versprach deinem Vater, dich
zu behüten, und ich werde alles tun, was du
willst. Dennoch mußt du dich entkleiden, wie
es sich gehört. Ich werde mich abwenden und
nicht hinsehn.“
Felice ließ sich nicht lange bitten. Gehorsam
legte er ein Kleidungsstück nach dem anderen
ab. Angelika jedoch, die mit dem Rücken zu
ihm saß, half ihm bald jene Schnalle lösen, bald
jenen widerspenstigen Knoten aufbinden, wobei
sie mit der Hand rückwärts griff und sich mit
Tasten zurechtfinden mußte. Heiter und un-
gezwungen plaudernd, legten sie sich so nieder,
obwohl sie noch immer vermieden, einander
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