DIE LETZTE NACHT
Von Karl Han« Strobl. (Mit zwei Zeichnungen von Jotepb Plank.)
ehntausend Flügel mit glim-
menden Pfauenaugen regen
sich in der Nacht. Es gibt
Wind und Flackern, das
meine Seele trifft. Ein
blaues Schillern ist der
Rand der Augen, und in
seiner Mitte verdickt sich die Finsternis und
macht einen Knoten. Oder es ist, als oh die
Nacht da noch finsterer würde, in dieser Pu-
pille, die von blauem Flimmern eingerahmt
wird, als reichte von da ein Rohr mit schar-
fem Abstich durch den Leih der Nacht bis
in ihren eigentlichsten Schoß. Man könnte
glauben, innerhalb des Flimmerkranzes in den
Bauch der Urmutter Nacht zu sehen, vor Ent-
bindung des Lichtes und der Form.
So waren diese Augen.
W^as soll man von dem Mondschein sagen, der
daherkommt wie auf Filzpantoffeln, wie ein fah-
ler, blasser Verwundeter auf Filzpantoffeln, der
nachts, von seinen Schmerzen herum getrieben,
über die Steinfliesen der Spitalgänge schleicht.
Er trifft die Uhr auf dem Nachttisch, tappt
über den Rand des Wasserglases und hinter-
läßt auf allem eine feuchte, schleimige Haut.
Schnecken hinterlassen im Herbst solche Spu-
ren zwischen verfaultem Gras, einen bläulich
und grünlich gefärbten, zähen Speichel.
Der Mondspeichel benetzt meine Seele, die
Flackeraugen tasten zudringlich an ihr, an mei-
ner armen, ausgesogenen, schwindsüchtigen
Seele. Der Mond hat allen Jammer auf gepumpt,
er ist grün vor Jammer der Massenmorde, der
Hinrichtungen im Namen des Volkes, vor dem
Stöhnen der von Weibern Verstümmelten, die
auf den Vorstadtstraßen verenden, Blut und
Nachttau auf den Gesichtern. An den Mauern
der Kasernen kleben zerfetzte Körper von Er-
schossenen, der Mond schlürft Gehirn aus auf-
gebrochenen Schädeldecken, auf den Flüssen
schwimmen stille Gesichter, mondwärts ge-
wandt, Stirnen, Nasen, verzerrte Lippen, in
den offenen Augen, in den Winkeln der gla-
sigen Augen hockt ein kleines, geronnenes
Klümpchen Mondlicht, eine kleine, klebrige,
feuchte, glänzende Spinne.
Da sind auch dann die Tapetenmänner, die
an den Wänden herahtanzen wie an Gummi-
schnüren, sie sehen einer aus wie der andere;
graue Röcke, die Arme laufen aus wie Lilien,
die Köpfe sind Blumenkohl, wo das Herz sein
soll, steht ein kleiner, blutroter Tupfen. Die
Bohrschlangen haben "lieh aufgemacht und
winden sich durch die Wände, daß es zwi-
schen den Ziegeln zu rieseln beginnt. W’as
nützt alle Philosophie gegen die kleinen Nacht-
hunde, die unten an den Türen winseln und
kratzen, gegen die kleinen Nachthunde mit
den weißen Bäuchen und den Fledermaus-
köpfen? Manchmal geht auch der Trampelaffe
durch das Haus, der ungeschlachte Gorilla mit
den acht Dromedarbeinen, der die Türen und
die Fenster hinter sich zuschmeißt, als hätte
es der Wind getan. Wie soll man sich vor
der Zinnpest retten, die man auf den V/and-
tellern und den Zinnkrügen auf dem Bord
spinnen und sieden hört? Kleine Blasen wölben
die glänzende Haut des Zinns, sie zerplatzen
fauchend, und am Morgen findet man ein
schwarzes, zerfressenes Loch, einen kleinen Kra-
ter, eine Narbe, die schwärend weitergreift.
Auf der Straße gehen viele Menschen vor-
bei, ein Gemurmel von vielen Stimmen, das
traurige Gemurmel von Leidtragenden hinter
einem Sarge bei Regenwetter, wenn die Leute
einander mit den Schirmen stoßen und über
die Lachen steigen. Wenn du ans Fenster
springst — kein Mensch ist da, die Straße ist
leer, eine Wolke weicht vom Mond, und die
Straße grinst, fahl wie ein Knochen.
Dann setzt sich plötzlich die Messingkrätze
in den Kasten der Wanduhr, und das Werk
beginnt zu zittern und zu seufzen. Der Herz-
schlag der Zeit wird unregelmäßig, wie mit
kleinenHämmerchen klopft es gegen das Räder-
gewirr, da und dort, das klingt metallisch, das
Ticken verlangsamt sich und rast dann wieder
wie über eine Flucht von Stufen, angstvoll starrt
das Zifferblatt in die Nacht. Es ist ein Anfall
von Irrsinn in der Uhr, als säße eine Made in
ihrem Hirn.
So bleibt dir kein anderer Weg als durch
das Fenster. In dieser Kette der Ursachen und
i o
Von Karl Han« Strobl. (Mit zwei Zeichnungen von Jotepb Plank.)
ehntausend Flügel mit glim-
menden Pfauenaugen regen
sich in der Nacht. Es gibt
Wind und Flackern, das
meine Seele trifft. Ein
blaues Schillern ist der
Rand der Augen, und in
seiner Mitte verdickt sich die Finsternis und
macht einen Knoten. Oder es ist, als oh die
Nacht da noch finsterer würde, in dieser Pu-
pille, die von blauem Flimmern eingerahmt
wird, als reichte von da ein Rohr mit schar-
fem Abstich durch den Leih der Nacht bis
in ihren eigentlichsten Schoß. Man könnte
glauben, innerhalb des Flimmerkranzes in den
Bauch der Urmutter Nacht zu sehen, vor Ent-
bindung des Lichtes und der Form.
So waren diese Augen.
W^as soll man von dem Mondschein sagen, der
daherkommt wie auf Filzpantoffeln, wie ein fah-
ler, blasser Verwundeter auf Filzpantoffeln, der
nachts, von seinen Schmerzen herum getrieben,
über die Steinfliesen der Spitalgänge schleicht.
Er trifft die Uhr auf dem Nachttisch, tappt
über den Rand des Wasserglases und hinter-
läßt auf allem eine feuchte, schleimige Haut.
Schnecken hinterlassen im Herbst solche Spu-
ren zwischen verfaultem Gras, einen bläulich
und grünlich gefärbten, zähen Speichel.
Der Mondspeichel benetzt meine Seele, die
Flackeraugen tasten zudringlich an ihr, an mei-
ner armen, ausgesogenen, schwindsüchtigen
Seele. Der Mond hat allen Jammer auf gepumpt,
er ist grün vor Jammer der Massenmorde, der
Hinrichtungen im Namen des Volkes, vor dem
Stöhnen der von Weibern Verstümmelten, die
auf den Vorstadtstraßen verenden, Blut und
Nachttau auf den Gesichtern. An den Mauern
der Kasernen kleben zerfetzte Körper von Er-
schossenen, der Mond schlürft Gehirn aus auf-
gebrochenen Schädeldecken, auf den Flüssen
schwimmen stille Gesichter, mondwärts ge-
wandt, Stirnen, Nasen, verzerrte Lippen, in
den offenen Augen, in den Winkeln der gla-
sigen Augen hockt ein kleines, geronnenes
Klümpchen Mondlicht, eine kleine, klebrige,
feuchte, glänzende Spinne.
Da sind auch dann die Tapetenmänner, die
an den Wänden herahtanzen wie an Gummi-
schnüren, sie sehen einer aus wie der andere;
graue Röcke, die Arme laufen aus wie Lilien,
die Köpfe sind Blumenkohl, wo das Herz sein
soll, steht ein kleiner, blutroter Tupfen. Die
Bohrschlangen haben "lieh aufgemacht und
winden sich durch die Wände, daß es zwi-
schen den Ziegeln zu rieseln beginnt. W’as
nützt alle Philosophie gegen die kleinen Nacht-
hunde, die unten an den Türen winseln und
kratzen, gegen die kleinen Nachthunde mit
den weißen Bäuchen und den Fledermaus-
köpfen? Manchmal geht auch der Trampelaffe
durch das Haus, der ungeschlachte Gorilla mit
den acht Dromedarbeinen, der die Türen und
die Fenster hinter sich zuschmeißt, als hätte
es der Wind getan. Wie soll man sich vor
der Zinnpest retten, die man auf den V/and-
tellern und den Zinnkrügen auf dem Bord
spinnen und sieden hört? Kleine Blasen wölben
die glänzende Haut des Zinns, sie zerplatzen
fauchend, und am Morgen findet man ein
schwarzes, zerfressenes Loch, einen kleinen Kra-
ter, eine Narbe, die schwärend weitergreift.
Auf der Straße gehen viele Menschen vor-
bei, ein Gemurmel von vielen Stimmen, das
traurige Gemurmel von Leidtragenden hinter
einem Sarge bei Regenwetter, wenn die Leute
einander mit den Schirmen stoßen und über
die Lachen steigen. Wenn du ans Fenster
springst — kein Mensch ist da, die Straße ist
leer, eine Wolke weicht vom Mond, und die
Straße grinst, fahl wie ein Knochen.
Dann setzt sich plötzlich die Messingkrätze
in den Kasten der Wanduhr, und das Werk
beginnt zu zittern und zu seufzen. Der Herz-
schlag der Zeit wird unregelmäßig, wie mit
kleinenHämmerchen klopft es gegen das Räder-
gewirr, da und dort, das klingt metallisch, das
Ticken verlangsamt sich und rast dann wieder
wie über eine Flucht von Stufen, angstvoll starrt
das Zifferblatt in die Nacht. Es ist ein Anfall
von Irrsinn in der Uhr, als säße eine Made in
ihrem Hirn.
So bleibt dir kein anderer Weg als durch
das Fenster. In dieser Kette der Ursachen und
i o