neben ihn. Herr und Frau Schulz und ihre
Tochter, das siebzehnjährige Lottcben, speisten
mitihren Gästen am gleichen Tische, bewirteten
sie eifrig und halfen gleichzeitig der Köchin
auftragen. Bier floß in Strömen. Jurko aß für
vier, und Adrian stand ihm in nichts nach,
seine Töchter jedoch zierten sich; das in der
Hauptsache deutsch geführte Gespräch wurde
von Stunde zu Stunde geräuschvoller. Plötz-
lich aber bat der Hausherr um Aufmerksamkeit
und rief, einer gut versiegelten Flasche den
Hals brechend, laut und in russischer Sprache:
„Auf die Gesundheit meiner guten Luise!“ Der
Halbchampagner schäumte. Zärtlich drückte
der Hausherr einen Kuß auf das frische Ge-
sicht seiner vierzigjährigen Freundin, und ge-
räuschvoll tranken dieGäste auf die Gesundheit
der guten Luise. „Auf die Gesundheit meiner
lieben Gäste !“ rief der Hausherr und öffnete
die zweite Flasche — und die Gäste bedankten
sich, indem sie aufs neue ihre Becher leerten.
Und nun folgte eine Gesundheit der anderen;
man trank auf das Wohl eines jeden einzelnen
der Gäste, man trank auf das Wohl Moskaus
und eines ganzen Dutzends deutscher Städtchen,
man trank auf das Wohl sämtlicher Innungen
im allgemeinen und einer jeden einzelnen im
besonderen, und man trank auf die Meister
und auf ihre Gesellen. Adrian trank mit
großem Eifer und war schließlich so lustig ge-
worden, daßerselber einen scherzhaftenTrink-
spruch ausbrachte. Zuguterletzt schwenkte
einer der Gäste, ein dicker Bäcker, seinen
Becher und schrie: „Auf die Gesundheit derer,
für die wir arbeiten, auf unsere Kundschaft! ‘
Freudig und einmütig, wie alle zuvor, wurde
auch dieser Vorschlag aufgenommen DieGäste
verbeugten sich gegeneinander, der Schneider
vor dem Schuster, der Schuster vor dem
anderen vor dem Bäcker, und so ging es weiter.
Und durch den Wirbel dieser allgemeinen
Verbeugungen schrie Jurko, sich zu seinem
Nachbarn wendend: „Nun, und du? Trink’,
Väterchen, auf die Gesundheit deiner Toten!“
Die anderen brachen in ein Gelächter aus, der
Sargmacher aber, der sich für gekränkt hielt,
runzelte die Brauen. Doch niemand bemerkte
es, die Gäste fuhren fort zu zechen, und erst
als die Abendglocken zu läuten begannen, er-
hob man sich vom Tisch.
Es war schon spät, als die Gäste gingen, und
die meisten von ihnen waren angeheitert.
Jurko wurde von dem dicken Bäcker und einem
Buchbinder, dessen Antlitz rötlich wie ein
Saffianeinband glühte, unter den Armen ge-
faßt und zu seinem Häuschen geschleppt, wo-
bei sie in diesem Falle der Lehre des russischen
Sprichwortes folgten: Schulden werden durch
Bezahlung schön. Betrunken und ärgerlich
kam der Sargmacher nach Hause. „Was soll
das, wahrhaftig?“ sprach er laut. „Worin ist
mein Gewerbe weniger ehrenhaft als das der
anderen? Oder ist der Sargmacher etwa ein
Bruder des Henkers? Worüber lachen die
Heiden? Es war meine Absicht, sie zur Ein-
weihung der neuen Wohnung einzuladen und
ein großes Gelage zu veranstalten, aber nichts
dergleichen jetzt: Ich will die einladen, für
die ich arbeite: die rechtgläubigen Toten will
ich einladen.“ — „Was soll das, Väterchen?“
unterbrach ihn die Bedienerin, die ihm der-
weilen die Stiefel auszog: „Was schwatzest
du da? Bekreuzige dich! Tote zur Einweihung
der neuen Wohnung zu laden! Hat man so was
gehört!“ — „So wahr mir Gott helfe, ich will
sie einladen.“ fuhr Adrian fort, „und zwar
schon auf morgen. Erweist mir die Ehre, meine
Tochter, das siebzehnjährige Lottcben, speisten
mitihren Gästen am gleichen Tische, bewirteten
sie eifrig und halfen gleichzeitig der Köchin
auftragen. Bier floß in Strömen. Jurko aß für
vier, und Adrian stand ihm in nichts nach,
seine Töchter jedoch zierten sich; das in der
Hauptsache deutsch geführte Gespräch wurde
von Stunde zu Stunde geräuschvoller. Plötz-
lich aber bat der Hausherr um Aufmerksamkeit
und rief, einer gut versiegelten Flasche den
Hals brechend, laut und in russischer Sprache:
„Auf die Gesundheit meiner guten Luise!“ Der
Halbchampagner schäumte. Zärtlich drückte
der Hausherr einen Kuß auf das frische Ge-
sicht seiner vierzigjährigen Freundin, und ge-
räuschvoll tranken dieGäste auf die Gesundheit
der guten Luise. „Auf die Gesundheit meiner
lieben Gäste !“ rief der Hausherr und öffnete
die zweite Flasche — und die Gäste bedankten
sich, indem sie aufs neue ihre Becher leerten.
Und nun folgte eine Gesundheit der anderen;
man trank auf das Wohl eines jeden einzelnen
der Gäste, man trank auf das Wohl Moskaus
und eines ganzen Dutzends deutscher Städtchen,
man trank auf das Wohl sämtlicher Innungen
im allgemeinen und einer jeden einzelnen im
besonderen, und man trank auf die Meister
und auf ihre Gesellen. Adrian trank mit
großem Eifer und war schließlich so lustig ge-
worden, daßerselber einen scherzhaftenTrink-
spruch ausbrachte. Zuguterletzt schwenkte
einer der Gäste, ein dicker Bäcker, seinen
Becher und schrie: „Auf die Gesundheit derer,
für die wir arbeiten, auf unsere Kundschaft! ‘
Freudig und einmütig, wie alle zuvor, wurde
auch dieser Vorschlag aufgenommen DieGäste
verbeugten sich gegeneinander, der Schneider
vor dem Schuster, der Schuster vor dem
anderen vor dem Bäcker, und so ging es weiter.
Und durch den Wirbel dieser allgemeinen
Verbeugungen schrie Jurko, sich zu seinem
Nachbarn wendend: „Nun, und du? Trink’,
Väterchen, auf die Gesundheit deiner Toten!“
Die anderen brachen in ein Gelächter aus, der
Sargmacher aber, der sich für gekränkt hielt,
runzelte die Brauen. Doch niemand bemerkte
es, die Gäste fuhren fort zu zechen, und erst
als die Abendglocken zu läuten begannen, er-
hob man sich vom Tisch.
Es war schon spät, als die Gäste gingen, und
die meisten von ihnen waren angeheitert.
Jurko wurde von dem dicken Bäcker und einem
Buchbinder, dessen Antlitz rötlich wie ein
Saffianeinband glühte, unter den Armen ge-
faßt und zu seinem Häuschen geschleppt, wo-
bei sie in diesem Falle der Lehre des russischen
Sprichwortes folgten: Schulden werden durch
Bezahlung schön. Betrunken und ärgerlich
kam der Sargmacher nach Hause. „Was soll
das, wahrhaftig?“ sprach er laut. „Worin ist
mein Gewerbe weniger ehrenhaft als das der
anderen? Oder ist der Sargmacher etwa ein
Bruder des Henkers? Worüber lachen die
Heiden? Es war meine Absicht, sie zur Ein-
weihung der neuen Wohnung einzuladen und
ein großes Gelage zu veranstalten, aber nichts
dergleichen jetzt: Ich will die einladen, für
die ich arbeite: die rechtgläubigen Toten will
ich einladen.“ — „Was soll das, Väterchen?“
unterbrach ihn die Bedienerin, die ihm der-
weilen die Stiefel auszog: „Was schwatzest
du da? Bekreuzige dich! Tote zur Einweihung
der neuen Wohnung zu laden! Hat man so was
gehört!“ — „So wahr mir Gott helfe, ich will
sie einladen.“ fuhr Adrian fort, „und zwar
schon auf morgen. Erweist mir die Ehre, meine