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sagten ihm die Beine den Dienst. Das Zimmer
war voll von Toten. Der Mond schien durchs
Fenster auf ihre gelben und bläulichen Gesich-
ter, er zeigte die klaffenden Münder, die gebro-
chenen Augen und die spitzigen Nasen ... und
mit Entsetzen erkannte Adrian eben jene in
ihnen, die vermittels seiner Bemühungen beer-
digt worden waren, der Gast aber, der mit ihm
gleichzeitig eintrat, war der Brigadier, der
während des Platzregens bestattet worden war.
Und mit Verbeugungen und Begrüßungen um-
ringten sie alle, Frauen sowohl wie Männer,
den Sargmacher, und nur ein allerärmster, der
kürzlich umsonst beerdigt worden war, stand
zerknirscht und sich seines Hemdes schämend,
demütig in einer Ecke und näherte sich nicht.
Die andern alle waren mit großem Anstand
gekleidet: die Frauenleichname trugen Häub-
chen und Bänder, die verstorbenen Beamten
— ihre Uniform, freilich waren ihre Bärte
ungepflegt, die toten Kaufleute aber wandelten
in ihren Feiertagskaftanen. „Siehst du, Pro-
chorow,“ redete ihn der Brigadier im Namen
der ganzen respektablen Gesellschaft an, „auf
deine Einladung hin sind wir alle gekommen,
und nur die sind zu Hause geblieben, die schon
gar nicht mehr konnten, die schon ganz und gar
zerfallen sind und jene, die nur noch aus Ge-
rippe ohne Haut bestehen, aber auch von diesen
wollte einer nicht still halten — so sehr ver-
langte es ihn danach, bei dir zu sein . ..“ Und
in diesem Augenblick drängte sich ein kleines
Skelett durch die Schar und näherte sich
Adrian. Sein Schädel grinste den Sargmacher
liebenswürdig an. Fetzen hellgrünen und roten
Tuches und morscher Leinwand baumelten an
ihm wie an einem Gerüst, und die Beinkno-
chen schlotterten in den viel zu weiten Stulpen-
stiefeln wie die Keule im Mörser. „Du erkennst
mich nicht mehr, Prochorow“, sagte das Skelett.
„Aber erinnerst du dich nicht an den verab-
schiedeten Gardesergeanten Pjotr Petrowitsch
Kurilkin, an jenen, dem du noch im 1799 er
Jahre deinen ersten Sarg verkauftest — und
dazu noch einen aus Fichtenholz statt aus
Eiche?“ Und mit diesenWorten wollte ihn der
Tote in seine knöcherne Umarmung schließen,
aber da nahm Adrian all seine Kraft zusammen
und schrie auf und stieß ihn fort. Pjotr Petro-
witsch taumelte, fiel und war auf einmal ganz
und gar zerbröckelt. Ein unwilliges Gemurr

erhob sich unter den Toten; allesamt traten sie
für die Ehre ihres Kameraden ein, und sie
rückten Adrian mit Scheltworten und Drohun-
gen zu Leibe, der arme Hausherr aber, betäubt
von ihrem Schreien und fast zerquetscht, war
wie von Sinnen und fiel über die Knochen des
verabschiedeten Gardesergeanten und verlor
das Bewußtsein ...

Die Sonne schien schon lange auf das Bett,
in dem unser Sargmacher lag. Endlich öffnete
er die Augen und erblickte die Bedienerin vor
sich, die damit beschäftigt war, den Samowar
anzufachen. Voller Grauen gedachte Adrian
der gestrigen Erlebnisse. Dunkel kam ihm die
Erinnerung an die Trjuchina, an den Bri-
gadier und an Kurilkin, den Sergeanten. Und
schweigend wartete er darauf, daß die Bedie-
nerin zu sprechen anfange und ihm von den
Folgen der nächtlichen Abenteuer erzähle.

„Väterchen Adrian Prochorowitsch, du
hast dich aber verschlafen“, sagte Axinja und
reichte ihm seinen Schlafrock. „Der Nachbar,
der Schneider, kam vorüber und der Polizei-
wächter kam mit der Nachricht, daß heute
der Namenstag des Revieraufsehers sei, aber
du schliefst in einem fort, und wir wollten dich
nicht wecken.“

„Und von der verstorbenen Trjuchina, ist da
jemand gekommen?“

„Von der verstorbenen? Ja, ist sie denn
gestorben?“

„Närrin! Als ob nicht du mir gestern ge-
holfen hättest, alles zu ihrer Beerdigung vor-
zubereiten ?“

„Was soll denn das, Väterchen, du hast
wohl gar den Verstand verloren, oder ist der
gestrige Rausch immer noch nicht vorüber!
Was denn für eine Beerdigung war gestern?
Den ganzen Tag über zechtest du bei dem
Deutschen und kamst betrunken nach Hause
und fielst geradezu ins Bett und hast bis zu
dieser Stunde durch geschlafen, wo doch schon
die Glocken das Ende des Mittagsgottes-
dienstes geläutet haben.

„W'as du nicht sagst!“ meinte erfreut der
Sargmacher.

„Freilich, freilich“, entgegnete die Bedie-
nerin.

„Nun, wenn das so ist, dann schneller her
mit dem Tee und ruf meine Töchter.“
 
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