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Dienst. — — Na, nur nicht den Kopf hängen
lassen, Weidmoser, so etwas kann Vorkommen.“

Der Oberingenieur gab dem Werkmeister
die Hand, sah ihm kopfschüttelnd nach und
brummte: „Jetzt wiehern bei dem schon die
Transformatoren !“ Dann zog er langsam seinen
Lederkittel an, ordnete die Mappen auf dem
Schreibtisch, steckte seine Taschenuhr zu sich,
sperrte sorgfältig das Betriebsbureau ab und
kletterte die steile eiserne Wendeltreppe zum
Maschinensaal hinunter.

Die Transformatoren heulten ihr eintöniges
Lied durch den Raum, dessen grelles Leuch-
ten riesenhafte Rechtecke durch die hohen
Fenster auf das jenseitige nachtdunkle Ufer
der V?ildache warf. Der Ingenieur trat in die
Türe, die auf die schmale Betonterrasse führte,
die über die Felsschlucht vorsprang und sah
in die sternklare, mondlose Nacht. In der
Ferne wand sich die glitzernde Perlenschnur
eines Motorzuges in die Berge hinauf. Das
Brüllen der Fälle heulte durch die Stille und
übertönte das Singen der Maschinen. Plötz-
lich drehte sich der Ingenieur mit einem Ruck
in den Saal. Deutlich hatte er ein Wiehern
gehört. Aufmerksam lauschte er in das Klirren
und Brausen des Saales. Da wieder, ganz
deutlich wieherte es beim Transformator 5,
und von der Maschine 2 klang es wie höhnische
Antwort. Der Ingenieur griff sich an den Kopf
und fühlte nach seinem Puls. Der schlug
gleichmäßig und ruhig. Atemlos lehnte er an
der Türe. Es blieb eine Weile still, und schon
glaubte er einer Gehörtäuschung unterlegen
zu sein, als aus dem Nebensaale, gerade als
das Zischen der Dynamos am lautesten er-
klang, ein Wiehern durch den Raum dröhnte,
als schrien hundert Pferde in fröhlicher Laune.

Nun war er überzeugt, durch die Meldung des
Werkmeisters selbst das Opfer einer Sug-
gestion geworden zu sein und stürzte an den
Wandapparat, um seinen Vertreter herbei-
zurufen, der im Beamtenhaus j‘enseits der Ache
wohnte. Dann taumelte er zum FIauptschalter
und legte die Hand auf den Hebel, um das
Werk in demselben Augenblick auszuschalten,
in dem er fühlen sollte, daß ihn sein Bewußt-
sein verlasse. — — Aber das seltsame Phä-
nomen wiederholte sich nicht wieder.

Als der zweite Ingenieur eintrat, traf er sei-
nen Chef auf der Stufe vor dem Schaltbrett
sitzend, damit beschäftigt, seine Kniesehnen mit
einem Schraubenschlüssel abzuklopfen. Als er
ihn erstaunt ansprach, schnellte sein Vorge-
setzter empor, stürzte auf ihn los und jam-
merte : „Mensch, tun Sie mir den einzigen Ge-
fallen und sehen Sie sich meine Augen an,
ob ich Puppillenstarre habe.“ Dabei hielt er
ein Auge an eine Glühbirne, die er ununter-
brochen ein- und auschaltete. „Denn ich habe
bestimmt Paralyse“, fügte er nach einer Weile
hinzu.

Der zweite Ingenieur sah ihn kopfschüttelnd
an und fragte dann: „Haben Sie am Ende auch
wiehern gehört?“ Und als ihn der andere ver-
ständnislos anstarrte, meinte er: „Es muß näm-
lich so eine Art Nervengrippe ausgebrochen
sein, denn vor drei Stunden erzählte mir der
Stationschef, daß er den Führer des Nacht-
schnellzuges Nr. 257 habe ablösen müssen,
weil der Mann ihm gemeldet habe, daß es ab
Kilometer 453 imMotorwagen gewiehert hätte
als wenn fünfzig Fohlen vor dem Zuge einher-
galoppiert wären.“-

In derselben Nacht aber und zur gleichen
Stunde hatten sich ähnliche unerklärliche Fälle

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