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eines Gliedes beraubten, welches das Hinder-
nis meiner irdischen Glückseligkeit war.

Braver Mann! Mögen Sie jetzt die Ursache
meiner närrischen Laune, wie Sie es nannten,
erfahren. Sie behaupteten damals, es könne
keinen vernünftigen Grund zu einer Selbst-
verstümmelung wie der meinigen gehen. Ich
schlug Ihnen eine Wette vor. Sie haben wohl
daran getan, sie nicht anzunehmen.

Nach meiner zweiten Heimkunft aus Ost-
indien lernte ich Emilie Harley kennen,
das vollkommenste Weib. Ich betete sie an.
Ihr Vermögen, ihre Familienverbindungen
leuchteten meinen Verwandten ein, mir nur
ihre Schönheit, ihr himmlisches Gemüt. Ich
mischte mich in die Schar ihrer Bewunderer.
Ach, bester Thevenet, und ich ward glücklich
genug, um der unglücklichste meiner Nebenbuh-
ler zu werden; sie liebte mich, vor allen Männern
mich — verhehlte es nicht und — verstieß mich
eben deswegen. Umsonst hat ich umihreHand
— umsonst baten ihre Eltern, ihre Freundinnen
alle für mich. Sie blieb unbeweglich.

Lange konnte ich die Ursache ihrer Abnei-
gung gegen eine Vermählung mit mir, den sie,
wie sie selbst gestand, bis zur Schwärmerei
liebte, nicht ergründen. Eine ihrer Schwestern
verriet mir endlich das Geheimnis.MißHarley
war ein ^Vunder von Schönheit, hatte aber
den Naturfehler — einbeinig zu sein, und
fürchtete sich eben dieser Unvollkommen-
heit willen, meine Gemahlin zu werden. Sie
zitterte, ich würde sie einst deswegen gering
achten.

Sogleich war mein Entschluß gefaßt. Ich
wollte ihr gleich werden. Dank Ihnen, bester
Thevenet, und ich ward es!

Ich kam mit dem täuschendsten Holzfuße

nach London zurück. Mein erstes war. Miß
Harley aufzusuchen. Man hatte ausgesprengt,
und ich selbst hatte es voraus nach England
geschrieben, ich habe durch einen Sturz vom
Pferde das Bein gebrochen; es sei mir ab-
genommen worden. Ich ward allgemein be-
dauert. Emilie fiel in Ohnmacht, als sie mich
das erstemal sah. Sie war lange untröstlich;
aber sie ward man meine Gemahlin. Erst den
Tag nach der Hochzeit vertraute ich ihr das
Geheimnis, welches Opfer ich meinen Wün-
schen um ihren Besitz gebracht habe. Sie liebte
mich nur um so zärtlicher. O braver Thevenet,
hätte ich noch zehn Beine zu verlieren, ich
würde sie, ohne eine Miene zu verziehen, für
Emilien dahingeben.

Solange ich lebe, bin ich Ihnen dankbar.
Kommen Sie nach London, besuchen Sie uns,
lernen Sie meine herrliche Gattin kennen, und
dann sagen Sie noch einmal: ,Ich sei ein NarrT
Charles Tempie.“

Herr Thevenet teilte die Anekdote und den
Brief seinen Freunden mit und lachte jedesmal
aus vollem Halse, so oft er sie erzählte. „Und
er bleibt doch ein Narr!“rief er.

Folgendes war seine Antwort:

„Sir, ich danke Ihnen für Ihr kostbares Ge-
schenk. So muß ich es wohl nennen, weil ich's
nicht mehr Bezahlung meiner geringen Mühe
heißen kann.

Ich wünsche Ihnen Glück zur Vermählung
mit der liebenswürdigsten Britin. Es ist wahr,
ein Bein ist viel für ein schönes, tugendhaftes
und zärtliches Weib, doch nicht zuviel, wenn
man am Ende nicht beim Tausch betrogen wird.
Adam mußte den Besitz seiner Gemahlin mit
einer Rippe im Leibe bezahlen, auch anderen

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